50°11′ östliche Länge, 8°68′ nördliche Breite
Long no write/read…Nicht nur der Ort über den ich heute erzähle ist lost – ich war es, seit ich im LOST in Bali war (davon irgendwann mal mehr…)auch. Viele Reisen privat und geschäftlich, zwei Umzüge und ein Pflegefall in der Familie.
Doch jetzt geht’s los ins alte Polizeipräsidium, ein „Lost Place„, ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Zum Raum wird hier die Zeit. Bewegung erstarrt zum Bild.
Das Hauptgebäude wurde noch in der Kaiserzeit, als Frankfurt zu Hessen-Nassau gehörte, Polizisten Pickelhaube trugen und prunkvoll repräsentative preussische Machtarchitektur en vogue war, erbaut. Zwischen 1914 und 2002 wurde hier an der vielbefahrenen Friedrich-Ebert-Anlage das ein oder andere Verbrechen aufgeklärt, von 2002 bis 2010 Partys gefeiert. Seit 2011 steht das historische Bauwerk leer und ist zu einem „Lost Place“ geworden.
Gerne besucht von „Urbexern“, abgeleitet von „Urban Exploration“ – das Entdecken und fotografische Dokumentieren von Lost Places.
Im 15.000 qm großen Hof sind die Rückseiten der drei Gebäudeteile von 1914, 1936 und später noch 1961 gut erkennbar.
Die Fenster in der oberen Etage des ältesten Gebäudes sind vergittert. Nachdem die besonders gewalttätigen Verhafteten zunächst in einem außenstehenden Metallkäfig verhört worden sind, wurden sie in Gewahrsamzellen in das Gebäudeinnere überführt.
Dort ist es eiskalt, feucht, riecht nach Schimmel und Urin. Christian Setzepfandt, Kunsthistoriker und passionierter Stadtführer, erzählt von kürzlicher Anfrage eines Pornoproduzenten, der die ehemaligen 24h Knastzellen für Filmdreh mieten wollte…
Vom Fenster zum Hof schaue ich auf das Relikt einer alten Tankstelle inmitten des 60er Jahre Komplexes. Einst haben dort die Polizeibeamten für Pfennigbeträge getankt.
Als Kontrast zeigt der Stadtführer ein altes schwarz weiß Photo aus den 1940er Jahren.
Der rechte Teil des neobarock, neoklassizistischen Gebäudes war eigentlich ein Erweiterungsbau von 1936/37. Entworfen vom bekannten Frankfurter Architekten Ferdinand Kramer als frueher Stahlskelettbau.
Den Nazis war das zu sehr Bauhaus – die Fassade musste historisiert werden, besser gesagt nazifiziert. Erinnert mich irgendwie etwas an die geschichtsrevisionistische neue Frankfurter „Alt“stadt. Rechte Räume.
Der alte Versammlungsaal von 1914 mit seiner noch Original erhaltenen Betondecke mit preussischem Adler Fresko und erstaunlicher Spannweite zeugt von den diversen Zeitschichten des historischen Gebäudes. Left and right unite. In ihm fanden Sitzungen und Weihnachtsfeiern statt. Später wurde er zum „Club Präsidium 19/11“ (1911 war Baubeginn…) – Raven in der Ruine. Auch als Filmkulisse diente das verlassene Gebäude, u.a. für den Tatort 609 mit dem passenden Titel: Leerstand.
In den kleinen Räumen der Wache hingegen fanden die Vernehmungen statt – hinter der gerahmten Scheibe, in der einst die reflektierenden Verhörraumspiegelflächen waren, saßen die VerbrecherInnen (wobei es meist männliche waren…).
Wenn diese Räume reden könnten, würden sie uns von den berühmten und berüchtigten Kriminalfällen der Stadt erzählen – vom Who is who der Verbrecherszene, dem kaltblütigen Mörder Rosemarie Nitrebitts, der terroristischen Baader-Meinhof Bande, dem Entführer Jakob von Metzlers etc. Ein absoluter bad Karma space. Nichts wie raus.
Bewundere noch beim Verlassen der dunklen, verfallenen Räumlichkeiten mit der Taschenlampe in der Hand, das ebenso wie die Fassade denkmalgeschützte zweiläufige Treppenhaus, über das schon lange keine Polizisten mehr geschritten sind. Sieht aus wie im Schloss…In Wien findet sich so was oft, in Frankfurt fast nie. Vielleicht ist mir deswegen meine Heimatstadt oft fremd?
Früher war es hier nicht so dark und lost – in den Kronleuchtern brannte elektrisches Licht, hell und clean. Mittlerweile sind fast alle Leitungen, Heizungen, Thermostate, einfach alles was nicht Niet- und nagelfest ist, abhanden gekommen…positiv gesehen Urban Mining – negativ: Baustellenraub.
Werfe noch einen letzten nostalgisch-archäologischen Blick hinab. Architektur wird zur Natur. Früher oder später.
Der Kramerbau sieht aus wie contemporary swiss architecture. Den sollte man unbedingt rekonstruieren im Rahmen der Hochhausbauten, die nun kommen werden.