50° 2′ 34.85″ nördliche Breite, 8° 2′ 47.99″ östliche Länge
Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen heute leider mitteilen, dass das Jahr 2020 abgesagt wurde…So eine einmalige Ansage wäre vielleicht effizienter als die ständigen Einzelabsagen, wie beispielsweise am 01.05 für das 33. Rheingau Musikfestival. Der erste Mai ist ja auch Tag der Arbeit und nicht Tag der Musik. Meine Lieblingsspielstätte (von über 40 !) des Festivals ist das Kloster Eberbach, ehemalige Zisterzienserabtei bei Eltville, die Bernhard von Clairvaux 1136 gründete. Er stand by the way Pate für den Vornamen meines Mannes, der glücklicherweise aber nicht ganz so streng und asketisch geriet. Doch nomen est omen, denn nicht zuletzt wird Bernhards Verständnis der Ästhethik gerühmt. „Er setzte sich für Stilreinheit in der Musik und Architektur ein, wodurch die abendländische Baugeschichte wesentlich beeinflusst wurde. Da alle Kirchenbauten der Zisterzienser dieselben Dimensionen aufweisen sollten, sprach man nach Bernhards Architekturreform von einem Bernhardinischen Plan„. Kloster Eberbach war eine der ältesten und bedeutendsten Zisterzen in Deutschland und berühmt für seinen Weinbau, den die Mönche über 700 Jahre kultivierten.
„Zu des Rheins gestreckten Hügeln, Hochgesegneten Gebreiten,
Auen, die den Fluß bespiegeln, Weingeschmückten Landesweiten
Möget, mit Gedankenflügeln, Ihr den treuen Freund begleiten“. Goethe
Im Mittelalter betrieb Kloster Eberbach das florierendste Weinhandelsunternehmen der gesamten Welt. Heute ist das Kloster nicht nur für seinen köstlichen Riesling, der bei mir in keiner Konzertpause im Kreuzgang fehlen darf, bekannt, sondern auch, mit seinen romanischen und frühgotischen Innenräumen voller himmlischer Lichtdramatik, als Schauplatz von Verfilmungen, wie Umberto Ecos „Der Name der Rose“ (ein flüchtiger Gedanke zu dieser Blume – als ich die Tage im Garten war konnte ich keine Zitronen riechen aber Rosen) oder 2008 “VISION – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen”. Was mich zur, ebenfalls im Rheingau gelegenen, Benediktiner Abtei St. Hildegard abschweifen lässt.
Dort hatte ich mich während meiner Diplomarbeit (über Zeitzeichen) in Klausur begeben und einige Wochen geschrieben, gegessen und mit den Nonnen siebenmal am Tag Gott sein Lob gesungen. Nicht weil ich so heilig war, sondern weil die gregorianischen Gesänge so schön sind. Schon damals war ich ein Konzertjunkie: Terz, Sext, Non, Vesper, die stille Komplet mit welcher der Tag schließt, bevor alle im Kloster in das Schweigen der Nacht eintauchen. Die Vigil mitten in der Nacht schwänzte ich meistens und gab mich ganz dem Hohen Silentium hin. Als ich die Abtei verließ, hatte ich noch ein Gespräch mit einer der Schwestern, die mich aufmunternd fragte, ob ich nicht länger bleiben möchte ? Was ich jedoch schnell und weltzugewandt verneinte. Wobei mir vom dress code über die Gesänge bis hin zur mystischen Weltabgewandtheit vieles gefiel. Gut gecharged fuhr ich zurück in meine Studentinnenbude nach Frankfurt. Unglaublich aber wahr – meine Wohnung war ein Trümmerhaufen – die Decke über meinem Zimmer war herabgebrochen !
Ich fühlte mich unter dem Schutz der Heiligen Äbtissin, da ich zum Schadenszeitraum im Kloster statt zuhause gewesen war. Zwischen den Steinbrocken lagen alte Zeitungen, die mit aus der Decke gefallen waren. Leider habe ich sie nicht aufgehoben, um zu lesen welche Nachrichten mir vom Himmel fielen.
Doch zurück zu den Zisterziensermönchen, die damals wie heute ein Leben aus Gebet, Lesung und Arbeit führen. Eigentlich mehr oder weniger das was ich schon seit Mitte März mache: arbeiten, lesen, Yoga und Meditation. Ein Tag gleicht dem anderen, wie schon bei Hildegard von Bingen, die sich eines Tages an Bernhard von Clairvaux gewandt hat, um ihre schriftstellerische Tätigkeit autorisieren zu lassen (was ich im 21. Jh. zum Glück bei meinem Bernhard nicht mehr tun muss.)
Die Klosterkirche ist das zentrale Gebäude der Abtei in Eberbach. Auch hier versammelten sich siebenmal am Tag und einmal in der Nacht die Mönche zu Chorgebet und Gottesdienst. Ihr Zisterzienserorden entstand durch Reformen aus der Tradition der Benediktiner, die Regeln des für das abendländische Mönchtum prägenden Hl. Benedikt in ihrer ursprünglichen Strenge erneuerten. In allen, erstmalig zentralistisch geführten, Klöstern sollte „in eremitischer Abgeschiedenheit die Reinheit der benediktinischen Grundformel „ora et labora“ als Ausdruck einer sinnfälligen Verbindung von Gebet und körperlicher Arbeit neu interpretiert und gelebt werden“. Die dreischiffige romanische Pfeilerbasilika wurde zwischen 1136 und 1186 erbaut und auf der Grundrissform des lateinischen Kreuzes errichtet. Später wurden noch neun gotische Kapellen an die Fassade vorgelagert. Der Innenraum huldigt dem für zisterziensische Kirchen typischen less is more. Die Wände sind glatt, schlicht und schmucklos. Nichts sollte die Mönche vom Zwiegespräch mit Gott ablenken. Doch Mönche leben seit 1803 nicht mehr in Eberbach, damals wurde das Kloster säkularisiert und zwischenzeitlich als Stall genutzt. Heute finden dort Konzerte, insbesondere des Rheingau Musik Festivals, statt.
Eine besondere musikalische Sternstunde war für mich dort 2010 die Aufführung der Zweiten, der „Auferstehungssinfonie“, von Gustav Mahler unter dem Dirigat von Paavo Järvi. In der hallreichen Kuppel ertönten von allen Seiten verschwommen Trompeten, Hörner sowie Schlagzeuger, die nach Mahlers Anweisung „in der Ferne“ oder gar „in weitester Ferne“ zu postieren sind. Ein akustisches Erlebnis von Erlösung und Auferstehung. Kunstreligion.
Auch entweihte Kirchen können sakrale Gegenorte sein, Kunsträume, in denen alles bewusst gestaltet ist.
Das schöne an all den Absagen könnte sein, das es keine Präokkupationen mehr gibt, keine Vorfreude, nur noch das Nu des gegenwärtiges Augenblickes. Darauf trinke ich jetzt einen Rheingauer Riesling: Prost.