55°40′ nördliche Breite, 12°33′ östliche Länge
Vor sechs Wochen besuchte ich die 3daysofdesign in Kopenhagen. Schon etwas „veraltet“ – sorry. Im September war aber leider keine Zeit mehr zu schreiben. Anderthalb Jahre wurden gefühlt in einen Monat geschoben. In den wenigen Momenten wo es nichts zu tun gab, hatte ich keine Energie mehr zu resümieren, auch nicht über die spektakuläre harbour (grand) tour.
Im Kopenhagener Hafen findet seit den 1990ern eine Transformation von einem industrial wasteland zu einer Blue City statt. Es war eine bewusste Entscheidung der demokratischsten Stadt der Welt, nicht zu einer grünen Suburbia City werden zu wollen, sondern zu einer Wasserstadt, wo man vom Holzsteg direkt vor seiner Wohnung ins harbour bath eintauchen kann, Muscheln und Seetang fürs Abendessen inklusive.
So high – so low. Rund um den Hafen entstand Wohnen in allen Dimensionen.
Dazu gehört auch das ein oder andere Hausboot, sogar eine Hausbootkirche.
Wobei am Uferrrand ein altes Wasserpumpenhaus mit Treppengiebel sakraler daherkommt als die schlichte, schwimmende Holzbungalow Kirke. Egal wie, seit ich über Anais Nin´s Leben und Lieben auf einem Hausboot am Seineufer in Paris las, ein (noch) unerfüllter Traum.
Die Architektur mit Ihren unterschiedlichen Höhen und Fassaden ist vielseitig und in ihren Variationen im Vorbeifahren geradezu unterhaltsam.
Nordhavn ist das größte Stadtentwicklungsprojekt in Kopenhagen. Es wird noch 40 bis 50 Jahre dauern, bis das 300 Hektar große Hafengebiet fertig umgewandelt ist. Oft fällt dabei leider jene Bausubstanz zum Opfer, die den Reiz verlassener Industrieflächen ausmacht. Doch es gibt Ausnahmen, wie ein Wohnungsbauprojekt von Cobe, bei dem es gelang, alte Substanz umzubauen statt sie abzureißen: ein Getreidesilo, 17 Geschosse hoch, fünfzig Jahre alt, aus grobem Beton
Das Wetter wird immer besser und die Architektur an der wir vorbeifahren auch. Das Blox, mit seiner Stapelung rechteckiger Kuben, entworfen von Rem Koolhaas Büro OMA, ist eines meiner Lieblingsprojekte rund um den Hafen. Ein urbanes Mixed-Use-Gebäude mit Ausstellungsräumen, (Co-Working) Büros, Plätzen, Buchhandlung, Fitnessstudio, Spielplatz, Café, Restaurant und Wohnungen.
„In Anlehnung an die vielen Kupferdächer der Stadt und das sie umgebende Meerwasser, wurde die Fassade variierend mit grünem Glaspaneelen vor den Wohnungen, dunkelgrünem oder schwarzem Streckmetall vor den Ausstellungsflächen und weiß gesinterten Glasflächen im Bereich der Büros verkleidet.“ Je nach Tageszeit und Wetter reflektiert die Fassade von düster bis schillernd.
So wie auch die „Black Diamond“ genannte Königliche Bibliothek von Schmidt, Hammer & Lassen Architekten.
Ganz in weiß hingegen erstrahlt die Königliche Oper mit einer der modernsten Bühnen der Welt. Das Gebäude aus Stahl und Glas liegt auf der Insel Holmen genau in der Sichtachse mit dem königlichen Schloss Amalienborg.
Ebenso aus der „guten“ alten Zeit stammt der 1673 fertiggestellte Nyhavn Kanal. Er wurde damals in Auftrag gegeben, um einen Stichkanal vom Hafen zum Kongens Nytorv Platz zu schaffen. Aufgrund seiner vielen Kanäle wird Kopenhagen auch Venedig des Nordens genannt. (Genau wie Hamburg, Stockholm und St. Petersburg…).
Die farbenfrohen Giebelhäuser an beiden Seiten des kleinen Hafenarms entstanden vorwiegend im 18. und 19. Jahrhundert.
Weniger historisch, aber zumindest unter Architekten ein mindestens genauso wichtiges must see ist der CopenHill, die Müllverbrennungsanlage vom dänischen Architekturbüro Big.
Dieser Hybrid aus Gebäude und Landschaft ist zugleich die einzige Skipiste des Landes.
Und sie funktioniert ganz ohne Schnee: Auf Kunststoffgrasmatten wedeln die Skifahrer die 500 Meter lange Abfahrt hinab, den Hafen dabei immer im Blick. Ein Müllberg wird zum Skiberg: Sustainable Hedonism.
Am Ende unserer Rundfahrt kommen wir noch an der Königsyacht vorbei. Die 1932 gebaute Luxusyacht ist benannt nach der Flagge Dänemarks: dem Dannebrog. Sie ist zusammen mit der norwegischen Norge eine der beiden letzten Königsyachten Europas. My boat is my castle.
Wir werfen einen Blick in die Zukunft. Das bewegte verwackelte Bild kommt allerdings nicht davon, das ich von meinem bis zum überlaufen voll geschenkten Dillsnaps (hicks) „blau“ bin – übrigens so ziemlich der beste snaps den ich je getrunken habe – sondern von der Unschärfe der Zeit.
Denn trotz allen masterplans mit Landerweiterungen, neuen Stadtteilen mit Wohnungen für 400.000 weitere Einwohner in den nächsten Dekaden, weiß noch keiner genau wie es hier 2050 ausschauen wird…
skål