45.42° nördliche Breite, 12.32° östliche Länge
Noch im Nebel
leuchtet das Gold des Löwen,
das steinerne Laubwerk tropft.
Namen, meergeboren,
wer schrieb sie ins salzige Licht?
Keiner nennt
die große Geduld
der Pfähle
Auf die Fähre
wartend im Regen,
der Poren
ins Wasser schlägt,
blick ich hinüber
zu den rostigen Schiffen
der Giudecca…
Venedig im Regen, Peter Huchel
Die Tage zog ein Tief über die Insel. Nicht Regen, sondern fahl-weißer Hagel schlug vor meinem Fenster auf die ins feuchte Erdreich gebohrte Pflöcke nieder. Eiszeit.
Hagel besteht aus Eisklumpen und tritt überwiegend in warmen Jahreszeiten der Mittleren Breiten auf. Er entsteht in den niedrigeren Schichten von Gewitterwolken durch unterkühltes Wasser, das an Kristallisationskernen zu Eis gefriert. „Zunächst werden sie durch den Aufwind angehoben, danach fallen sie wieder in tiefere Luftschichten, nehmen weiteres Wasser auf, werden abermals nach oben gerissen, und zusätzliches Wasser gefriert an. Dieser Vorgang wiederholt sich solange, bis ein Hagelkorn zu schwer ist, um von den Aufwinden getragen zu werden.“ Wikipedia Aus der Größe der Hagelkörner kann daher auf die Windstärke im Inneren der Gewitterwolke geschlossen werden, und umgekehrt. „Meine“ Körner waren ca. 1 cm groß, d.h. sie fielen mit 9 m/s (32,4 km/h) zur Erde. Größere Körner können über 200 km/h erreichen. Durch den Klimawandel scheinen Hagelunwetter häufiger zu werden.
Hagel heisst im italienischen übrigens grandine, wie die 0,2 mm große small shape Pasta. It´s raining pasta – Hallelujah !
Wobei im venezianischen Hagel tempesta heißt, was dann doch irgendwie stürmischer klingt als Suppennudel.
Die Stürme über der Adria hatten es bereits Antonio Vivaldi, dem barocken Großmeister Venedigs, angetan. Er nutzte bei seinen Reisen aber wohl meist die Kutsche oder eine „Barca“ , die ihn über den Brentakanal in die „Terra ferma“ trug. Lediglich nach Triest, wo er 1728 mit Kaiser Karl VI. zusammentraf, wird vermutet, dass er ein größeres Schiff über die Adria genommen haben könnte, ob er damit in ein Unwetter geriet ist jedoch ungewiss. Doch die beiden Concerti, die Vivaldi dem Sujet des Seesturms gewidmet hat, sind sowieso früher entstanden, möglicherweise sogar fern von Venedig in Mantua, wo er von 1718 bis 1720 unter dem Landgraf von Hessen-Darmstadt als Hofkapellmeister wirkte. In meiner südhessischen Heimat, mit ihren sanften Wiesen und Wäldern, gibt es zwar Seen und auch die Flüsse des Rheins oder Mains sind nicht weit, doch einen echten Seesturm dürfte der Landgraf dort nicht erlebt haben. Umso größer vielleicht die Faszination, sich von einem echten Venezianer einen solchen Sturm in Tönen vor Augen und Ohren führen zu lassen. Vom Fenster seines Zimmers im Ospedale della Pietà aus wird Vivaldi, genau wie ich vom Fenster meines Zimmers in Guidecca aus, so manches Mal beobachtet haben, wie sich düstere Wolken über der Lagune zusammenbrauten und die Sturmwinde vom Meer her die Wellen an die Kaimauer mit den hölzernen Fundamenten der Pfähle, die schon damals die Stadt der meergeborenen Namen (er)trugen, peitschten: „La tempesta di mare“.
„Ich bin ein einsamer Seefahrer, der in der stürmischen See der Kunst segelt. Aber ich bleibe am Ruder und weiß genau wo ich landen muss“ Fabrizio Plessi