49°88′ nördliche Breite, 6°91′ östliche Länge
Ein Ausflug mit meiner ältesten Freundin und ihrem Sommelier Ehemann führte mich an die Mosel nach Piesport, dem größten Weinbauort in der ältesten Weinregion Deutschlands. Bereits die Römer etablierten dort im ersten Jahrhundert den Weinbau. Heute erstreckt sich das von steilen Weinbergen, Wiesen und Wäldern umgebene Gebiet entlang von Mosel, Saar und Ruwer zwischen Hunsrück und Eifel, mit tief in die Hochflächen des Rheinischen Schiefergebirges eingeschnittenen Talmäandern. Deren Entwicklung begann im Devon vor 400 Millionen Jahren, als zwischen den Kontinentalplatten der Meeresboden unter starkem Druck und extrem hohen Temperaturen zusammengepresst wurde. Der infolgedessen entstandene Schiefer faltete sich auf und gehörte einst zu einem Gebirgszug, der die halbe Welt umspannte. Nach mehrmaligem Erodieren, Falten, Einebnen und Heben begann sich die Ur-Mosel vor 15 Millionen Jahren immer tiefer in das Gestein einzugraben und die Landschaft zu formen. Was ein breites, geradliniges Flussbett war, bildet heute mit eindrucksvollen Erhebungen und mäandernden Flußlauf die Naturkulisse des Weinkulturlandes.
Schon der römische Dichter Ausonius hat in seiner um 371 entstandenen lateinischen Reisebeschreibung Mosella in 483 kunstvollen Hexametern die Schönheit des Flusslaufes angepriesen. „Wie die Ränge eines Amphitheaters“ rahmten die Weinberge Piesport ein (Verse 155 und 156: … vitibus assurgut naturalique theatro).
Am linken Ufer liegt die Moselloreley. Ein sehr steil aus der Mosel aufragendes Felsmassiv, welches weder Verkehr noch Fußwege, nur vereinzelte Rebflächen zulässt.
Herbst, der reife Rest, war gekommen; es grünten und verwelkten Wein und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Reben übten ein melancholisches Lied die vorfreudigen Vögel; (Mein Hexameter „Herbst – Sehnsucht nach Heimat“ – sehr, sehr frei nach Goethe)
Ein Teil der spätantiken Mosella ist der aus 64 Achtzeilern bestehenden Aufzählung von 10 Nebenflüssen (die Mosel selbst ist ein Nebenfluß des Rheins) und 15 Fischarten gewidmet, die zu Ausonius Zeit in der Mosel vorkamen. Einige verkosteten wir mit einem lokalen Riesling, dem König des Weißweines, im besten Restaurant am Platz.
Fisch muss schwimmen.
Piesport liegt an einer nach Norden ausbuchtenden Moselschleife. Die 65° steilen zur Sonne ausgerichteten Weinberge der Mosel sind ein Terroir der Extreme. Das uralte Gestein der Schieferböden und das gemäßigt warme Klima mit ausreichend Niederschlag lassen Weine von großer Eleganz entstehen.
Wie schmeckt Schiefer ? Mineralisch – spürt einen Sommerregen und den Geruch, der entsteht, wenn das Wasser auf Steinboden dampfend trocknet.
Zum Weinberg kommt der Moselaner Winzer oft nur über den Wasserweg. Versteckt am Ufer liegen kleine Bootsstege, die hinauf in die Reben führen, die von Hand gepflegt und geerntet werden: Riesling handgemacht. An der Stelle des heutigen Ortes Piesport gab es in römischer Zeit eine Furt durch die Mosel, durch die bei niedrigem Wasserstand Wagen fahren konnten. Diese Furt war dem Mercurius Bigontius, einer lokalen Gottheit, geweiht, woraus sich Porto Pigontio ableitete, aus dem allmählich Piesport wurde.
1985 wurde dort die größte römische Kelteranlage nördlich der Alpen entdeckt und teilweise rekonstruiert. Sie ist Zentrum des bis auf dieses Jahr immer im Herbst stattfindenden Römischen Kelterfestes.
Kein Kelterfest, sondern ein genußvolles Fastenbrechen zelebrierte ich dieses Wochenende mit Aqua Santa. Nicht ganz so konsequent wie die Tagesheilige Mystikerin Elisabeth, die längere Zeit ohne Nahrungsaufnahme, nur von der Hostie lebte. + 25.11.1420. Eine weitere Tagesheilige ist die Märtyrerin Katharina von Alexandria aus dem 4.Jh, außergewöhnlich intelligent und sehr stolz. Durch Gespräche mit einem Einsiedler wurde sie sehr nachdenklich und Christin. Während eines Opferfestes für eine römische Gottheit soll es ihr durch ihre außergewöhnliche Redegewandtheit und Schlagfertigkeit gelungen sein, Kaiser Maxentius in Verlegenheit zu bringen. „Verärgert hat dieser daraufhin die besten Philosophen und Meister der Rhetorik an den Hof gerufen, die mit der jungen Frau über die römische Götterreligion und das Christentum diskutieren sollten. Katharina soll die Argumente der weisen Männer mit einer solchen Brillanz und Eindringlichkeit widerlegt haben, dass sich alle 50 zum Christentum bekehrten. Daraufhin ließ, der vor Wut rasende Kaiser Katharina auspeitschen und auf ein mit Nägeln besetztes Rad flechten.“ No-Go ! Warum hat er keine „Ökumene“ zwischen Bacchus und Christus, der doch im letzten Abendmahl sein Blut zu Wein erklärte, zugelassen ? Dionysos (römisch: Bacchus) steht auch für Wiederauferstehung, da die Weinrebe in jedem Jahr von neuem austreibt. Eine Legende erzählt, wie er geopfert, verschlungen und schliesslich wiedergeboren wird und damit eine Parallele zum Opfer Jesu und der Eucharistie aufweist.
Die nach Katharina genannten Bauernregeln – „Sankt Kathrein läßt den Winter herein„, „Kathrein stellt Schiffahrt und Musik ein“ sind passend zum ersten Frost der sich heute über die Weinberge legte. Schifffahrt und Musik sind sowieso schon seit Wochen eingestellt…
Bei noch mehr Frost entsteht Eiswein. Besonders jener aus der Rebsorte Riesling zählt zu den geschätztesten natürlichen Süßweinen, da gesunde Trauben am Stock gefrieren und im noch gefrorenen Zustand bei mindestens -7°C von Hand gekeltert werden müssen. Tiefgolden im Glas verheißt der Wein schon beim ersten Blick Überreife und spätzeitliche Morbidität. In der Nase betörend und intensiv: Kandierte Orange und Ananas sowie feine Anklänge mineralischer Feuerstein Säure. Am Gaumen seidig elegant mit feiner Süße und saftiger Passionsfrucht…Das ist by the way immer die Reihenfolge für ein sinnliches Winetasting: Augen, Nase, Mund.
Nicht der eine schwarze Schwan, sondern nur einer unter vielen weißen kam mir vor die Linse. Wobei ich gerne den black swan auf der Mosel fotografiert hätte, steht er doch für die Macht seltener höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Der Autor Taleb beschäftigt sich mit den häufig extremen Konsequenzen dieser Ereignisse sowie der menschlichen Eigenschaft, im Nachhinein einfache und verständliche Erklärungen für diese Ereignisse zu finden. Die Mosel ist nicht schwarz sondern „… grünblau und grünbraun, an den Rändern aber eher grün. In der Mitte ist die Mosel wie ein dunkler, stiller Teich, fett und dunkelgrün und unheimlich.“ H.J. Ortheil
Unheimlich grün!