55°1′ nördliche Breite, 8°26′ östliche Länge
List üp Söl bedeutet übersetzt aus dem Nordfriesischen List auf Sylt, der nördlichste Ort Deutschlands direkt gegenüber der dänischen Küste. List kommt auch vom altdänischen listi (Streifen, Rand, im Sinne von Küstenstreifen).
Bin dorthin heute auf dem Weg zum dritten Ort. Ein Ort der, nach Auffassung des US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg (1989), nach dem Ersten Ort, der dem Familien-, dem Zweiten Ort der dem Arbeitsleben dient, als third place zu beidem einen Ausgleich bietet. Ein kulturelles Kraftzentrum.
Hört ihr ihn auch ? Hört genau hin. Er kommt wieder näher. Die Schleusen öffnen sich langsam, das Leben wird wieder durch die Straßen fließen und uns in Bewegung setzen. Man kann ihn schon fast wieder riechen, fühlen und schmecken…Die ersten erwachen jetzt. Wir werden wieder zusammen lachen, durchatmen, aufatmen…und wir werden wieder genießen – den Duft, den Geschmack, das Klappern von Geschirr, das Klirren der Gläser, Musik, Tanzen, die Unbeschwertheit von Fremden und Freunden – wir können ihn schon wieder hören – den dritten Ort, der nicht länger eine Selbstverständlichkeit ist, wenn das Leben wieder neu beginnen wird, die Welt sich wieder weiter dreht und wir alle zusammen den Neuanfang, die Freiheit feiern werden. Wir werden dort sein, an unserem dritten Ort…
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Doch bevor ich nach langer Zeit mal wieder an einen meiner dritten Orte gehen kann, muss ich erst freigetestet sein. Das geht hier in der Modellregion Nordfriesland, wo bereits einige als Erste im Mai erwachten, ganz schnell und entspannt, sozusagen im Vorbeifahren durch das Drive-In Corona Testzelt. Nicht nur das nördlichste, sondern bestimmt auch das landschaftlich am schönsten gelegene Testzentrum Deutschlands…
Eine junge Frau im blauen Kittel bohrt mir kurz sanft und routiniert mit dem Stäbchen in der Nase rum und schon wenige Sekunden später bekomme ich von inseltest eine SMS – Ergebnis: negativ.
Der Abend kann beginnen – auf gehts zur legendären Dittmeyer´s Austern Compagnie, der Heimat der Sylter Royal. Sie ist die einzige Auster, die in Deutschland produziert wird. Ihr Geschmack wird als zart nussig und feinjodig beschrieben – ein Schluck Meerwasser: Nordsee pur ! „Eine Auster schmeckt immer nach der Region, in der sie wächst“, sagt der Sylter Spitzengastronom Johannes King. „Das ist wie beim Wein mit dem Terroir.“
Die wilde Sylter Royal wird auch heute noch auf den Sandbänken der weiten Blidselbucht zwischen Kampen und List mit der Hand geerntet. Vier Stunden lang, den Rest der Zeit werden sie vom Meer umspült.
Die Austernfischerei hat auf den nordfriesischen Inseln eine über tausendjährige Tradition. Im 19. Jh. gab es im Friesischen Wattenmeer rund 50 Austernbänke. Mit Netzen und Streicheisen holten die Fischer die Schalentiere vom Meeresboden. Fangmethoden, die zur Überfischung und zum Aus für die europäische Auster (Ostrea edulis) führten. Bis die Familie Dittmeyer begann, in der Blidselbucht pazifische Felsenaustern, die sich unerwartet auch in den Miesmuschelbänken um Sylt angesiedelt hat und nun großflächige Riffe ausbildet, zu kultivieren.
Die Fischer lösen die grünen Poches von ihren sogenannten Austerntischen. Jeder dieser grobmaschigen Kunststoffsäcke, in dem bis zu 200 Austern heranwachsen, wird von ihnen von Hand geschüttelt. „So etwas macht man sonst bloß mit feinstem Champus. Eine Anspielung auf das Poignetage-Verfahren, mit dem Champagner während der Lagerung regelmäßig bewegt wird“, erklärt einer der Fischer.
Wie der Austern schlürfende Gourmand Mönch auf dem Bild über dem Kopf meines Mannes genieße ich als bekennende Hedonistin zusammen was zusammengehört: Austern und Champagner. Beide im Geschmack nussig und feinherb. Beides heute mal zur Feier des dritten Ortes im Überfluss.
Die Sylter Royal genießt als Mollusken Diva auch im Winter eine ungewöhnlich aufwändige Behandlung. Regelmäßig, kurz vor Kälteeinbruch, zieht sie ins Winterquartier, in ein vom Meerwasser durchspültes Becken, nach List um. Dort sind die Poches vor treibenden Eisschollen, die sie womöglich zerstören könnten, geschützt, bis sie im Frühjahr wieder ins Freie dürfen: Hinaus ins Watt.
Ein Hoch auf Ihre Majestät, die Königin der Meere, ein Hoch auf die Sylter Royal. Es lebe der dritte Ort !
God save our gracious queen!