47°50′ nördliche Breite, 9°73′ östliche Länge
Das Kunsthaus Bregenz ist für mich eines der architektonisch als auch programmatisch interessantesten Museen für zeitgenössische Kunst in Europa. Wie alle Bauten des Meister Architekten Zumthor beeindruckt es mit strengen klaren Linien und hochwertigen Materialien.
Der Gebäudekörper besteht aus Milchglaspaneelen, die eine vorgelagerte Licht- und Lufthaut bilden und durch diese ein mild auratisches Licht in den Innenräumen entstehen lassen. In der Dunkelheit strahlt das Kunstlicht durch die Lichtbänder aus dem Inneren des Gebäudes durch die Glashaut. Innen und aussen verschwimmen.
„Das Kunsthaus steht im Licht des Bodensees. Sein Körper ist aus Glasplatten, Stahl und einer Steinmasse aus gegossenem Beton gebaut, die im Innern des Hauses Struktur und Raum bildet. Von außen betrachtet wirkt das Gebäude wie ein Leuchtkörper. Es nimmt das wechselnde Licht des Himmels, das Dunstlicht des Sees in sich auf, strahlt Licht und Farbe zurück und lässt, je nach Blickwinkel, Tageszeit und Witterung etwas von seinem Innenleben erahnen.“ Peter Zumthor
Die minimalistisch monumentalen Innenräume sind dominiert vom letzten romantischen Material: Sichtbeton – und bieten den perfekten Resonanzkörper für die aktuelle Ausstellung, die zeitgleich mit den Bregenzer Festspielen stattfand. Sie ist Anri Salas gewidmet. Seine transformativen Kunstwerke entwickeln sich zwischen Klang, Bild und Architektur.
In All of a Tremble wird sichtbar wie Beton durch die Ritzen sickert, an den Stellen an denen die Holzbretter aufeinanderstoßen. Sie erzeugen das charakteristische Muster aus horizontalen Linien für eine auf diese Weise konstruierte Wand.
Auf der Wand befindet sich ein in eine Spieluhr verwandelter historischer Tapetendruckzylinder. Während sich seine Walze kontinuierlich um die eigene Achse dreht, stoßen reliefartigen Metallrippen gegen die Zähne des Kammes und erzeugen geisterhafte Klänge, die alle demselben Ton entspringen: a’ (440 Hz), eine häufig genutzte Frequenz, die dem modernen Normal- oder auch Stimmton entspricht. Dem vergleichbar ist Beton das normale, charakteristische Material in der Architektur der Moderne. Beide entwickelten sich etwa um dieselbe Zeit zu gängigen Standards…
Es entsteht der Eindruck, als schrieben sich die Töne direkt ins Muster der Betonwand ein. Eine für Salas typische Vorgehensweise um Verlagerungen von Elementen und Bildern anzuregen und bestehende Bedeutungszusammenhänge zu hinterfragen.
In einer weiteren, auf kongeniale Weise den Ausstellungsraum miteinbeziehenden, Installation Day Still Night Again, in den leeren, großen, stillen, grauen Räumen des 2. OG, dreht sich alles um den silber-samtig glänzenden Sichtbeton. Ein Beton mit Seele.
Eine Aufnahme der vier Betonwände wird im Verhältnis 1:1 direkt auf dieselben Wände projiziert (mapping). Das projizierte Bild wechselt immer wieder von scharf zu unscharf und umgekehrt und verwandelt sich mit seinen oszillierenden Wandoberflächen so in eine zweite Haut des Raums. Eine ewige Transformation. Der Wechsel von Schärfe zu Unschärfe wird durch eine Musikpartitur gesteuert: Das Spiel der Noten schärft die projizierten Bilder der Wände, während sie in den Momenten der Stille unscharf werden, konturenlos fast verschwinden: Lost in (50 shades of) concrete.
Life has many moods and colors (not only grey) – living is my meditation. Frei nach meinem spirituellen Lehrer Shri Balaji Tambe, der vor drei Wochen, im Wechsel von Leben zu Tod, Schärfe zu Unschärfe oder umgekehrt, das Zeitliche segnete und seine irdische Behausung gegen den planet of the master eintauschte. Eine neue, eher selten genutzte, erhöhte Frequenz von ? Hz. Listen to the wind.
Nach Tagen voll grauer Trauer tat es gut vor der Rückfahrt nochmals über die feucht-saftiggrünen Wiesen des Westallgäus zu wandern. Green is the colour of hope – living is my meditation…
Ehre den Meistern