48°51′ nördliche Breite, 2°20′ östliche Länge
Auf meiner Promenade durch das Herz von Paris flanierte ich vom La Samaritaine Warenhaus (https://topophilia.world/senses-of-kadewe-waves-of-samaritaine-multisensoric-retail/) zur Bourse de commerce. Ein ikonischer Rundbau aus dem 18. Jh., dessen jetziger Zustand einen Umbau aus dem Ende des 19. Jh. darstellt, als er als Warenbörse diente. Von 2016 bis 2021 wurde das Gebäude vom japanischen Architekten Tadao Ando in ein Museum für Zeitgenössische Kunst der Pinault Collection erneut umgebaut.
1767 als ringförmige Lagerhalle für Getreide angelegt, beherbergte das Gebäude mit seinem kolossalen Durchmesser von 38 Metern im 19 Jh. wiegesagt die Pariser Börse. Zu dieser Zeit entstanden auch die große Glaskuppel über dem Innenhof und das monumentale 360-Grad-Gemälde, welches den blühenden Handel der Grande Nation auf allen fünf Kontinenten abbildet. 1889 wurde die gerade eingeweihte Handelsbörse zusammen mit dem Eiffelturm stolz als Beitrag zur Pariser Weltausstellung präsentiert. „Architecture acts as a hyphen between the past, present and future.“ Tadao Ando
Im Zentrum des Entwurfs von Ando steht die Form des Kreises. In die Mitte des einstigen Innenhofes stellte er einen monumentalen, neun Meter hohen Zylinder aus Sichtbeton. Seine Ode an den Kreis.
Durch die runde Betonmauer entstehen unter der zentralen Glaskuppel neue räumliche Zusammenhänge. Ein kontemplativer Raum im Raum, dessen Licht wetterabhängig wechselt. Eine Architektur des Erhabenen – himmelsnah, nach oben offen.
Die Fassade des Denkmals, wird Teil eines gebogenen, an städtische Gassen erinnernden, Erschliessungsweges, der zu den weiteren Ausstellungsflächen führt.
„Architektur muss brennen...“ lautet ein Manifest von Coop Himmelb(l)au. In der Bourse „brennt“ nicht nur die Architektur, sondern auch die Kunst. Die Vanitas Wachsinstallation (mit Symbolen der Globalisierung spielend, was Inhalt für einen eigenen Post wäre) von Urs Fischer, in der Mitte der Rotunde, brennt, wie ein von mir „Burning Man“ genannter Teil von ihr, langsam ab.
Der Sichtbetonzylinder trägt die Signatur seines Meisters: Schalhautformate, im Format japanischer Tatamimatten und regelmäßige Ankerlöcher, die über die technisch notwendige Anzahl weit hinausgehen.
Der Beton Minimalist Ando hat mit meditativen Räumen in Rundbauten nicht nur einige Erfahrung, er ist von Ihnen fasziniert – seit seiner Jugend stellt für ihn das Pantheon in Rom die architektonische Referenz schlechthin dar.
So erinnert die Bourse nicht zufällig an die Kreisform des Pantheons…
Auch ich fühle mich angezogen von Rundbauten. Heute ist mir aufgefallen, dass die Hälfte meiner persönlichen Architektur Top Ten Rotunden sind: das Pantheon und der Petersdom in Rom, die Villa La Rotonda in Venetien, Santa Maria della Salute in Venedig, der Tempel der Vesta in Tivoli…ein Abbild von diesem hing heute übrigens im Eingang des Restaurants in dem ich dinierte. Koinzidenz im Zeichen der Magie des Kreises…
Als ich nach zwei Stunden das Museum verlasse, sind schon wieder kleine neue Wachsfragmente hinabgefallen, die Figuren verändern sich permanent, lösen sich in Zeitlupe schmelzend auf, Kunst des Verschwindens. Die Dauer der Ausstellung korrespondiert mit der Zeit bis die Kerzen abgebrannt sind: creative destruction.
Die Bourse ist ein Sieg für Pinault im Zweikampf der Kunstmäzene Arnault versus Pinault. Die beiden superreichen Franzosen mögen sich nicht, Luxusmarken und Kunst aber umso mehr. “With this new museum, in the heart of Paris, I intend to share my passion for contemporary art.” François Pinault
Die Eröffnung dieses nach dem Palazzo Grassi und der Punta della Dogana in Venedig dritten und größten Pinault-Museums war im Mai 2021. Über seine beiden venezianischen Museen werde ich zwischen den Jahren schreiben, wenn ich endlich mal wieder in meiner Wahlheimatstadt bin.