45°43′ nördliche Breite, 12°33′ östliche Länge
Heute schreibe ich über meine andere Heimatstadt – die meiner Wahl: Venedig – und mein Lieblings Sestiere (eines von sechs Stadtteilen des historischen Zentrums) Dorsoduro. Dort ist die letzte Gondelwerft Venedigs: Squero di San Trovaso. Das Werftgebäude ist aus dem 17.Jh. im Stil einer alpinen Hütte, da die holzverarbeitenden Experten aus den Dolomiten kamen, dort wo es noch Wälder gab.
Ein kleiner Geheimtipp – die besten Cicchetti (kleine belegte Brote) Venedigs gibt es direkt gegenüber in der Osteria Al Squero.
Die Gondola ist ein spezieller venezianischer Bootstyp (11 m lang und 1,5 m breit) mit weit aufgebogenen Enden, der wahrscheinlich erstmals im 11.Jh. aufkam. Ursprünglich gab es Gondeln in allen Farben, die Adels- und Patrizierhäuser versuchten sich gegenseitig in der prachtvollen Ausstattung der Boote zu überbieten. Um der Prunksucht Einhalt zu gebieten, erließ der Senat von Venedig 1562 das Aufwandgesetz, welches eine einheitliche schwarze Ausstattung für alle Gondeln vorschrieb. Wenn Gondeln Trauer tragen…
Im 16. Jahrhundert zählte man mehr als 10.000 Gondeln in der Stadt, heute gibt es noch 500
Midlife crisis – nach 50 Jahren muss der Gondelboden ausgetauscht werden. Gestrichen wird aber jährlich, sonst geht der Lack ab…
Auch wenn das Hauptgeschäft die Reparatur der Gondeln ist, wird in der Werft pro Jahr eine neue gebaut. Die hat ihren Preis: € 35.000 – nach oben offen – je nach Konfiguration – wie beim Auto. Eine Gondel besteht aus 280 Teilen und neun verschiedenen Hölzern, die jeweils bestimmten Aufgaben dienen, beispielsweise Linde für die Verzierung des Bugs. Eine Wissenschaft für sich…Bei dem unten abgebildeten Modell mit floralen Rankschnitzereien und Goldlegierungen handelt es sich um eine etwas gehobene Standardausstattung.
Was jedoch jede Gondel schmückt ist der eiserne Bugbeschlag, fero da prora. Ursprünglich nur Gegengewicht zum Gondoliere, heute auch symbolischer Schmuck der mit seiner S-Form die Kurven des Canal Grande darstellt, oben in einer Art Dogenhut, über dem Bogen der Rialto Brücke, endend. Darunter springen sechs Zacken für die sechs Sestieri: San Marco, Dorsoduro, San Polo, Cannaregio, Castello und Santa Croce, hervor. Der nach hinten gerichtete Zacken steht für „meine“ Insel: Giudecca.
Doch keine Gondel ohne Ruder…Ich besuche einen der letzten Remèri Venedigs. Das Kunsthandwerk der Ruder- und Rudergabelschreiner besteht seit über sieben Jahrhunderten.
Zunächst werden dort die langen Ruder für das venezianische Rudern gefertigt, und das ist stehend damit man das Wasser, das abseits der Kanäle in der Lagune oft nur 20cm tief ist, vor dem Bug sieht. Dafür braucht es längere Ruder und einen Ausleger der den Drehpunkt höher legt.
Daraus hat sich die kunstvoll geschnitzte Forcola entwickelt – eine „endemische“ venezianische Rudergabel, die eine Vielzahl von Drehpunktpositionen bietet, von denen jede ihre eigene Wirkung auf das Ruder hat. Sie ist der hölzerne Dreh – und Angelpunkt jeder Gondel. Die Abmessungen und komplexen Formen hängen auch vom persönlichen Ruderstil, sowie Körperbau des Ruderers, mittlerweile auch der Ruderin – 5 der 700 Gondolieri sind Frauen…ab.
Dutzende Forcola Vorlagen hängen in der Werkstatt und warten auf ihren Einsatz.
Saverio Pastor, der das Handwerk von den letzten großen Maestros erlernt hat bleibt seit 50 Jahren den überlieferten konstruktiven Grundsätzen, unter Verwendung der besten von ihm fachmännisch abgelagerten Hölzer, treu. Seit Mick Jagger eine Forcola als Skulptur für seine Kunstsammlung gekauft hat ist ein neuer Absatzmarkt entstanden, der mittlerweile 30% des Umsatzes generiert.
Ein weiteres typisches Handwerk sind die Glasbläsereien in Murano, die ich auch besichtigte.
Und zwar nicht irgendeine sondern das Berengo Studio, deren Meister für Ai Weiwei`s Biennale Kunstwerk „La Commedia Umana“ in dreijähriger Arbeit einen monumentalen Chandelier aus mehr als 2000 matt-schwarzen Murano Glasteilen fertigten. Eine Kaskade von menschlichen und animalischen Knochen, Organen und Objekten wie der Twitter -Vogel. „Diese riesige hängende Skulptur aus schwarzem Glas ist einzigartig,…ein Werk, das Emotionen weckt und uns zwingt, uns nicht nur mit unserer Sterblichkeit auseinanderzusetzen, sondern auch mit der Rolle, die unser Leben im großen Theater der Menschheitsgeschichte spielt“, kommentiert Adriano Berengo.
Ein Manifest welches mit des Künstlers eigenen Worten „attempts to speak of death in order to celebrate life.“
Mein Post über die venezianische Handwerkskunst schliesst mit einem Memento Mori, doch nicht als Totentanz, sondern Lobpreis auf die vielseitige über Jahrtausende verfeinerte, nur an diesem Ort existierende craftmanship, deren Ende hoffentlich noch lange nicht naht. Das Ende der Ausstellung in der Palladio (ein Meister der Architektur…) Basilika San Giorgio Maggiore war jedoch gestern.
Nach all den Werkstattbesuchen geht’s zurück nach Guidecca – nehme ich eine Gondel oder doch schneller ein Motoscafi?
„Schon das Fahrzeug, die schwarze, leichte, schlanke Gondel, und die lautlos sanfte Art der Bewegung hat etwas Fremdartiges, träumerisch Schönes und gehört als wesentlicher Faktor in die Stadt des Müßigganges, der Liebe und der Musik.“ Hermann Hesse