33°15′ nördliche Breite, 130°47′ östliche Länge
Unaufhörlich kreisen Hubschrauber über das ins gleissende Sonnenlicht getauchte Hiroshima und seine unzähligen kleinen vorgelagerten Inseln inmitten der spiegelglatten pazifischen See. Stille See.
Eine davon ist: Miyajima. Die heilige Insel. Eine der drei schönsten Landschaften Japans日本三景, Nihon sankei. Alle drei sind Küstenlandschaften mit sanften Meeres-Land-Übergängen, die die japanische Malerei und Poesie geprägt haben. Der Begriff Nihon sankei stammt aus dem Werk des konfuzianischen Gelehrten Hayashi der im 17. Jh. lebte – sankei setzt sich zusammen aus san (三), Zeichen für drei und kei (景), Landschaft, Szenerie oder Aussicht.
Japaner lieben Best of Listen. Ich auch – beim Einschlafen erstelle ich meine – die 10 schönsten Orte der Welt, besten Bücher…
Türkisblaues Meer, grüne Wälder, Berghänge und die „Mutter“ aller japanischen toriis – das zinnoberrote O-torii Tor. Das 16 m hohe größte hölzerne Schreintor, das Tor zu Japan, kommt näher und näher.
Leider ist gerade Ebbe und DAS meistfotografierteste Wahrzeichen Japans steht nicht mitten im Wasser, sondern weniger Instagrammable mitten im Sand. Die vier Streben (yo-tsuashi) des torii sorgen für Stabilität.
Das Wasser kommt und geht, wie die Wellen des Meeres, im ewigen Rhythmus der Natur, auf und ab, Ebbe und Flut…ich muss mich nur etwas gedulden und mir in aller Ruhe den Itsukushima Schrein anschauen. Er ist der See und all ihren Kamis gewidmet.
1168 erbaut, scheint der auf Pfählen ruhende Schrein noch bis heute über das Wasser zu schweben, zu schwimmen, zumindest bei Flut….Damit wird das Element der verehrten Gottheiten nicht berührt und diese nicht verärgert.
Breite Galerien und Flure verbinden die mit einem 280 m langen überdachten Korridor miteinander verbundenen Pfähle.
Bis ins 19. Jh. durfte keine Frau auf die Insel, auf der nicht geboren und gestorben wurde, da mit den Frauen das Blut gekommen wäre, das nach den Reinheitsvorstellungen des Shintoismus die heilige Insel befleckt hätte. Miyajima, 厳島 ‚Insel der Strenge‘.
Ich sitze eine Weile in der Halle der “Tausend Tatamimatten”, genieße den Schatten, den kühlenden Windhauch auf meiner Haut, die Aerosol haltige Luft – selten habe ich an einem angenehmeren Ort meditiert. Meeresanbeterin.
Auf dem der Bucht zugewandten Deck liegt die älteste erhaltene No-Bühne der Welt. Weil die Bühne bei Flut ins Meer hinausragt, mußten die Zuschauer die Aufführung von Booten aus verfolgen.
Selbstverständlich gibt es auch im shintō–Schrein Itsukushima Wände mit aufeinander gestapelten Sake-Fässern, „göttlichem Wein“, für die Durchführung von Ritualen und Festen, regelmäßig von Sake Brauereien gespendet.
Slowly, slowly kommt die Flut – bis das Tor wieder 160 m vor dem Ufer steht und die Säulen im Meer versinken.
Ebbe und Flut hin oder her – der Meerestempel mit dem legendären torii landet in meiner Tempel Top Ten.
Da auf der Tabu-Insel keine Bäume gefällt werden dürfen gibt es noch viel (Ur)Wald und Wild. Die zahmen heiligen Rehe laufen frei umher, sich interessiert die aus Plastik oder Wachs nachgemachten „Lebensmittelimitate“, sanpuru genannt, in den Auslagen der Restaurants anschauend. Beliebt seit nach dem zweiten Weltkrieg, als die in Japan stationierten amerikanischen Soldaten die Speisekarten nicht lesen konnten und das Fake Food ein anschauliches Hilfsmittel wurde.
Ich trinke jetzt ein echtes eiskaltes Bier – Kanpai ! „Prost“ auf die heilige Insel und Peace on Earth.
Als ich mit der Fähre das 30,33 km große Eiland zwanzig Kilometer südwestlich von Hiroshima verließ, kreisen noch immer Hubschrauber am Himmel. Wenige Tage später sollte der G7 Gipfel in Hiroshima stattfinden. Der Ort wo am 06.08.1945 amerikanische Soldaten die erste Atombombe abwurfen.
Als Erstbesiedler der Insel gilt der buddhistische Mönch Kōbō-Daishi der sich im Herbst 806 für asketische Übungen dorthin zurückzog. Das von ihm entzündete Feuer soll noch heute in der „Halle des nie verlöschenden Feuers“ unterhalb des Insel Gipfels brennen. Es ist auch der Ursprung der Flamme im Friedensgedenkpark von Hiroshima. „Du hast nichts gesehen in Hiroshima“. Aus „Hiroshima, mon amour“.
nicht nur in Hiroshima ma amour
Tolle Reise!
Herzliche Grüße