35°01′ nördliche Breite, 135°76′ östliche Länge
Erinnerungen verschwimmen, es ist schon einige Monate her das ich in der alten Kaiserstadt Kyoto war…was bleibt? Unvergessliche Impressionen, die Essenz „meines“ Japans.
Nach Aufgabe von Nara wurde Kyōto 794 bis bis zum Ende der Edo-Periode 1868 Hauptstadt Japans. Dank des Tennō und seinem Hofstaat hat sich über Jahrhunderte das kulturelle Herz Japans gebildet, das Versailles des Fernen Ostens, welches bis heute hier immer noch am feinsten schlägt. Am Herrschaftszentrum sind nicht nur über 2.000 Tempel und Schreine entstanden (über einige davon, wie den Goldenen, werde ich in nächsten Posts noch schreiben) sondern auch nahezu alle traditionellen Künste wie die Teekultur Chado, Ikebana, Kabuki – you name it. Hochkultur pur.
Beginne meine Rundgänge rund um die Yasaka-Pagode im Herzen von Higashiyama-ku, dem östlichen Bergbezirk, einer von elf Stadtbezirken. Die fünfstöckige Pagode, Teil eines Tempelkomplexes aus dem 6. Jh., ist wie über 2.000 weitere Monumente noch erhalten.
Dank eines US-Kriegsministers der Kyoto, welches im Zweiten Weltkrieg ursprünglich ganz oben auf der Liste der Ziele für den ersten Einsatz der Atombombe stand (da die Lage in einem Tal die Auswirkung der Explosion noch verstärkt hätte) von der Liste gestrichen hat, da er die Stadt einst besuchte und um deren kulturelle Bedeutung wusste.
Am nächsten Tag mache ich mich wie täglich Tausende Touristen in Gion, dem historischen Geishaviertel, auf die Suche nach diesen – sie heißen hier Geiko 芸子 und Maiko 舞妓 (Geisha in Ausbildung). Seit einigen Jahren ist Geisha-Spotting reglementiert, da die Jagd um ein Photo, mit eleganten Frauen mit atemberaubenden Hochfrisuren, makellosem Make-Up und seidenen Kimonos, zu schiessen, immer weniger An- und Abstand wahrte. Leider kam ich zu spät – sie gingen schon in den O-chaya genannten Teehäusern ihrer Arbeit des Gäste Unterhaltens, Tanzen, Getränke servieren nach, und das Gion Corner in dem normalerweise jeden Nachmittag Best-of Geishatänze aufgeführt werden, hatte wegen Umbau geschlossen.
Doch ich sah einige junge Frauen die es wieder trendy finden sich Geisha like in einen yukata zu hüllen. Kyoto hat eine elegante, feine, feminine Kultur – entgegen Tokyo, was eher schrill und maskulin ist. Geisha meets Samurai.
Jedes Hanamachi (Geishaviertel) verfügt über eine Schule. Die grüne Tafel unten habe ich vor einer der letzten drei Geisha Schulen in Gion aufgenommen. Sie zeigt den Wochenplan für die Maikos, in dem sie sich vertikal für Ausbildungsfächer wie (Fächer)Tanz, Musik, Literatur, Poesie, Kalligraphie, Ikebana eintragen können. Wenn ich jünger gewesen wäre und die Schriftzeichen hätte lesen können, hätte ich mich vielleicht auch eingetragen. Es wäre ein Traum von mir gewesen. Memoirs of a Geisha.
Rund 300 Geikos und Maikos leben in Kyoto. Vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren es noch 80.000! Die alte Kaiserstadt galt als Hochburg der Geisha-Kultur. In diesem Jahr gab es gerade mal 16 neue Maikos, die Zahlen sind genau, denn die „Frauen der Künste“ haben in ganz Japan Fans die jedes Debüt dokumentieren.
Noch findet man die traditionellen hölzernen Stadthäuser – die kyōmachiya, oder einfach nur machiya – entgegen den Geishas in nahezu allen Straßen. Sie sind bis zu drei Stockwerke hoch, lang und schmal, um die damalige Grundsteuer zu umgehen, bei der die Breite eines Gebäudes besteuert wurde und nicht die Länge.
Heutzutage sind viele Machiya zu Galerien, Kunsthandwerkläden und Restaurants umgebaut worden. Die Vorderseite des Hauses ist in der Regel als Schaufenster abgetrennt.
„Kuidaore“ (食い倒れ) bedeutet so viel wie „sich in den finanziellen Ruin essen“, und das geht nirgendwo in Japan so gut wie in Kyoto. Dabei ist dies im Land der aufgehenden Sonne keinesfalls negativ konnotiert, sondern beschreibt die Bereitschaft für exzellentes Essen auch entsprechend zu bezahlen. Das Gegenteil der Deutschen, die weltweit prozentual am wenigsten von ihrem Nettolohn für Nahrungsmittel ausgeben.
„Kuidaore“ ist die hedonistische Idee, das Leben zu genießen, gutes Essen zu zelebrieren und ohne Reue den flüchtigen Moment zu huldigen – „mono no aware„, sich an der vergänglichen Schönheit des Augenblicks erfreuen!
In der Nishiki Markthalle könnte ich alle Zutaten für ein köstliches Kaiseki Mahl erstehen, doch ich gehe an meinem dritten und letzten Abend lieber in das nach der Pagode benannte Yasaka dinieren.
Ein Restaurant mit Aussicht.
Nach einem genussvollen Abend laufe ich beschwingt die steilen Gassen hinab nach Pontocho, wo wir uns noch einen one for the road Sake in einer der vielen von Lampions beleuchteten Bars genehmigen.
Ab dem 9. Jh. entwickelte sich übrigens die klassische Form des japanischen Schminkens. Da es noch keine Elektrizität gab, wurden die Gesichter weiß geschminkt, um im Kerzenlicht des Hofes sichtbar zu sein und einen Porzellan-Effekt zu erzielen, kontrastierend zu schwarzen Haaren und den in allen Farben leuchtenden seidenen Kimonos.
„In Kyoto bin ich, doch beim Schrei des Kuckucks, sehn ich mich nach Kyoto.“ Bashō (1643 – 1694)
Einige Monate später –
trinke ich einen Schluck: Madame Butterfly Kellerbier, naturtrüb, kalt gehopft, 2023 – und freue mich auf die entsprechende Inszenierung auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele.
Die berühmte Geschichte der japanischen Geisha Cio-Cio-San, die sich einem Amerikaner hingibt, schwanger wird und dann voll Liebe, Hoffnung und Sehnsucht drei Jahre wartet, dass er sie nach Amerika nachholt, holt mich in Gedanken zurück in meine japanische Lieblingsstadt: Kyoto.
Un bel di vedremo levarsi un fil di fumo sull’estremo confin del mare. E poi la nave appare. Poi la nave bianca entra nel porto…
Eines schönen Tages werden wir einen Rauchfaden an der fernen Meeresgrenze aufsteigen sehen. Und dann erscheint das weiße Schiff und läuft in den Hafen ein…und ich werde wieder in Japan sein…und eine Geisha tanzen sehn.
Hana no iro wa
The flowers withered
Utsurinikeri na
Their color faded away
Itazura ni
While meaninglessly
Wa ga mi yo ni furu
I spent my days in the world
Nagame seshi ma ni
And the long rains were falling
Ono No Komachi