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47°50′ nördliche Breite, 11°27′ östliche Länge

fotocommunity.com/schloss-kranzbach-kurz-vor-einem-unwetter

Ich bleibe den Alpen im Herbst treu und fand eine Herberge in Schloss Kranzbach, auch Mary Portman House genannt, im bayrischen Voralpenland. Es ist das einzige Arts and Craft Schloss ausserhalb der britischen Insel und liegt am Fuß der Zugspitze auf einem Plateau in über 1000 m Höhe vor der beeindruckenden Bergkulisse von Karwendel und Wetterstein. Das „Englische Schloss“, wie die Anlage bald von den Einheimischen genannt wurde, erinnert mit seinen Treppengiebeln an natursteingemauerte Country Houses in Schottland.

1913 beschloss die reiche Aristokratin Mary Isabel Portman anlässlich eines Ausflugs spontan, sich auf dieser abgelegenen Anhöhe ein eigenes Anwesen mit Konzertsaal bauen zu lassen, das spätere Schloss Kranzbach. Da es ihr aber nach Kriegsbeginn 1914 in Deutschland nicht mehr möglich war, Geld aus „Feindesland“ zu beziehen zog sie aufgrund der unsicheren Lage umgehend zurück nach London. Den 1915 fertiggestellten Besitz in den bayerischen Bergen hat sie nie zu sehen bekommen. Sie starb 1931 im Hotel Eden in Montreux und nicht im Mary-Idyll.

Das einsame, in herbstlichen Nebel gehüllte, Torhaus empfang in den Folgejahren die unterschiedlichsten Gäste; in den 1920ern kamen Maler und Filmer um die Schönheit der Landschaft auf Leinwand oder Zelluloid zu bannen. 1931 pachtete die evangelische Kirche Dortmund auf der Suche nach einem Erholungsort für junge Menschen das Haus von den Erben Mary Portmans. Nach diversen Nutzungen in der Kriegszeit nahm die Kirche 1947 wieder ihren Ferienbetrieb auf. 1955 wurden Szenen des Heimatfilms Das Schweigen im Walde gedreht. Waldesstille ist hier glücklicherweise immer noch zu „hören“, zumindest wenn kein G7 Gipfel, wegen der abgeschiedenen Lage im Elmautal bestens dafür geeignet, wie 2015 stattfindet.

2003 verkaufte die Kirche das Schloss an den jetzigen Hotelbesitzer, der mehr oder weniger zufällig vorbei kam, da er mit seinem Hund in Schloss Elmau, noch etwas weiter im Tal gelegen, kein Zimmer bekam und dann bei den alten Damen der Kirche eine Unterkunft fand, was begründet warum Gäste mit Hunden auch heute noch besonders willkommen sind. 2007 wurde das Anwesen, um einige Gebäude erweitert, als Hotel „Das Kranzbach“ eröffnet.

2019 kam das Meditation House von Kengo Kuma hinzu. Es befindet sich oberhalb in einem kleinen Wald aus Fichten und Buchen. „Ich bin in einem alten Holzhaus aufgewachsen und gehe immer noch sehr gern in den Wald. Vielleicht ist das sogar eine noch ältere Erinnerung: Die Menschen wurden im Wald geboren, und er hat sie oft beschützt.“ Der schmale Pfad hinauf ist bereits Teil einer Meditation. Ich konzentriere mich auf meine Füße, besonders auf die Fußsohlen und nehme wahr wie diese den Boden berühren, setze achtsam einen Fuß vor den anderen in langsamen, bewussten Schritten, die Füße abrollend – gehen, heben, senken. Ich erde mich und erspüre meine tiefen Wurzeln. Ein- und aus…verbinde atmen und gehen, atme tief ein während ich einen Fuß langsam hebe und lang und tief aus wenn ich meinen Fuß wieder langsam von der Ferse bis zur Fußspitze auf die Erde setzte. Extrem entschleunigend. Sehr empfehlenswert.

Irgendwann erreiche ich dann trotz meines Zen-Schnecken Tempos das Ziel und sehe hinter Stämmen verborgen den Waldtempel. Eine Skulptur aus Licht und Schatten. Japan im Westen.

Photo © David Schreyer

Auf drei Seiten bodentief verglast verschmilzt das Meditation House mit der Umgebung, den Stämmen, Ästen, Blättern, Gräsern, Farnen, Flechten und Moosen. Natur verwirklicht sich in Architektur, in transitorische Räumen voller Licht und Schatten, wo drinnen und draußen ineinanderfließen. In Japan nennt man diese Zwischenzone Engawa – Raum zwischen innen und außen, der durch Schiebetüren mal der einen oder anderen Zone zugeordnet wird. „Dieser Pavillon ist selbst eine Art Engawa“ sagt Kengo Kuma über sein Werk.

Photo © David Schreyer

Bevor die Gäste das Innere dieses leeren, offenen Raumes der sich in den Wald auflöst, betreten werden sie höflich gebeten sich vor Kengo Kuma, dem Architekten, und der Energie des Raumes, zu verbeugen. Respect the Architect ! Das sollte in unseren Gebäuden auch eingeführt werden…Loyalität zum Imperativ.

Photo © David Schreyer

Setze mich auf ein schwarzes Zenkissen und geniesse den Blick aus dem Fenster in den Wald. Es tröpfelt etwas, die traditionelle japanische Architektur macht den Regen, sein Geräusch und Geruch zum Ereignis. Schliesse eine Weile die Augen, konzentriere mich ganz auf meinen Körper und Atem im Hier und Jetzt bevor ich die Augen wieder öffne und lange Zeit Shinrin-Yoku (Waldbaden) siehe Blog 17.03.2020) praktiziere – nachsinne, den Bäumen zuhöre, meinem Atem, der Stille…ich sehe in den Wald hinein und durch ihn hindurch. Ich spüre das er erschöpft ist, sich nach noch mehr Ruhe, nach kühlendem feuchtem Schnee sehnt. Doch das ist wohl eher eine emphatische Projektion als absichtslose Meditation.

Der Pavillion besteht aus 1550 Holzschindeln aus Weißtanne, ein leises Holz.

Plötzlich reißen mich die vibrierenden Klänge eines Gongs aus meinen Betrachtungen. Wald- plus Gongklangbaden. Ich höre Höhen und Tiefen der Klänge, und lasse während der Gong weiterschwingt, seine Intensität geschehen. Die Welt ist Klang.

Ich verlasse den Ort und umrunde noch ein Mal diesen Kraftort inmitten all der Nadelbäume mit ihren dürren querstehenden Ästen. Eine gelungene ménage à trois: Japan in British Bavaria.

Photo © David Schreyer

Auf dem Rückweg schaue ich mir in München in der Neuen Pinakothek der Moderne die Ausstellung „Die Architekturmaschine – Die Rolle des Computers in der Architektur“ (Blog dazu folgt) insbesondere die Virtual Reality Installation Transcribed Nature, an. Ein multisensorisches Experiment, welches räumliche Elemente aus dem Wald nutzt die auf Architekturelemente in VR sowie auf eine gebaute Installation übertragen werden. Phygital.

aus VR Installation Atelier Oslo

Die Natur wird in grundlegende Architekturelemente verwandelt. Bäume werden zu Säulen umgestaltet, der Waldboden in Terrassenstufen, während die Zweige und Blätter zu Decken mit Oberlichtern werden.

Photo © David Schreyer

Ich bewege mich angekabelt und mit einer VR Brille auf dem Kopf genau so langsam und achtsam über den „Waldboden“ der Installation wie in Kranzbach, da ich befürchte sonst über die Stufen zu stolpern…

aus VR Installation Atelier Oslo

Aber ich bin dann doch ein „Physical Girl“ und vermisse Sinn und Sinnlichkeit in der Post Nature.

In der „echten“ Natur ziehen immer noch ergiebige Regenfälle über das Land die sich in der Nacht zum vergangenen Sonntag in weisses Nass des ersten Schnees transformierten: Herbstwinter.

Das Jahr neigt sich dem Ende bevor es richtig angefangen hat…lasse den Abend ausklingen bei einem Glas schottischen Whiskey (japanischen gab es leider nicht) mit Blick auf das im Kaminfeuer knisternde bayrische Holz: “Slàinte Mhath” (schottisch – zum Wohl)

My heart’s in the Highlands, my heart is not here

A-chasing the wild deer and following the roe
My heart’s in the Highlands wherever I go
Farewell to the Highlands, farewell to the North (in meinem Fall to the South)
..
Farewell to the mountains high covered with snow
Farewell to the straths and green valleys below
Farewell to the forests and wild-hanging woods
Farewell to the torrents and loud-pouring floods
My heart’s in the Highlands, my heart is not here…
..

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