45°43′ nördliche Breite,12°33′ östliche Länge
Am Aschermittwoch ist alles vorbei…und eine Woche später erst recht.
Gerne erinnere ich mich an den Carnevale di Venezia. Er fand 2022 unter dem Motto „Remember the Future”, inspiriert von Salvador Dalìs widersinnigem Zitat: „Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft“, statt. Der surreale Satz passe zum Geist der Lagunenstadt und des Karnevals meint der Kurator Massimo Checchetto, Bühnenbildner des Theaters La Fenice.
Doch nicht nur die Piazza San Marco auf obigen Photo stand im Schatten, der ganze Karneval war überschattet von den jüngsten Ereignissen und den Gedanken an eine Zukunft, von der wir nicht wissen ob wir uns gerne an sie erinnern werden.
Der Carnevale di Venezia entwickelte sich seit dem Mittelalter zu immer prunkvolleren Formen. Auf der Piazza wurden Feuerwerke abgebrannt, die arabische moresca getanzt, maskierte Burschen von diesseits und jenseits des Canale Grande bauten menschliche Pyramiden, es gab wilde, exotische Tiere, Akrobaten und Seiltänzer zu bestaunen. Das Fest erreichte seinen Höhepunkt mit dem 1548 erstmals aufgeführten Volo dell‘ Angelo: ein Akrobat kletterte über ein in der Bucht vor dem Markusplatz verankertes Seil bis zur Spitze des Campanile und warf von dort aus Blumen in die Menge. Mein Birdview vom Campanile auf das gegenwärtige närrische Treiben war nicht ganz so spektakulär, vom türkisglitzernden Panorama der Wasserstadt einmal abgesehen.
Die größte Pracht erlebte der Carnevale im frivolen 18. Jh. zu Lebzeiten Casanovas. In der feierfreudigen Stadt dauerte er damals ein halbes Jahr und endete nur mal kurz zwischendurch zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch: Carne vale – Fleisch, lebe wohl. Christliches Detox.
Die Hochblüte des Karnevals endete, als 1797 Venedig durch Kaiser Napoleon I. seine Selbständigkeit verlor und Österreich angegliedert wurde. Der folgende Niedergang beeinträchtigte die Selbstdarstellung der stolzen Serenissima sehr. Aufwendige Prozessionen und sittenlockere Festumzüge gab es kaum noch.
Das dekadente Treiben verschwand im langen 19. Jh. mehr und mehr aus dem öffentlichen Raum und wurde vor allem als privates Fest und als Event der österreichischen Offiziere gefeiert.
Nach der Vereinigung Venedigs mit Italien 1866 gab es Bestrebungen, die großartige Tradition des venezianischen Karnevals endlich wieder aufleben zu lassen.
„1867, nur wenige Monate nach dem Anschluß Venedigs an das Königreich Italien, feierten die Venezianer zehn Tage lang…ein Karnevalsfest mit einem reichhaltigen Programm…Der Karneval sollte nicht länger eine Privatangelegenheit sein. Erklärtes Ziel der Organisatoren war es vielmehr, ‚Fremde anzuziehen, die Geld bringen‘,…“ wie im ‚Corriere di Venezia‘ vom 10. Januar 1868 zu lesen war.
Dies ist bis zum heutigen Tage geglückt.
Insbesondere Fellinis 1976 erschienener Film Casanova löste eine nachhaltige Renaissance des venezianischen Karnevals aus.
Bereits in historischen Zeiten flanierten die Feiernden umher und präsentierten sich in ihren schönsten Masken und bunten Kostümen. In der Faschingsdienstag Nacht liefen Tausende von masqueraders durch die mit Fackeln beleuchtete Stadt. Am Ende des rauschenden Höhepunktes wurde symbolisch eine Maske verbrannt und die Menge skandierte: „Es ist vorbei, es ist vorbei, der Karneval ist vorbei!“ Dazu läutete die Fastenglocke langsam und getragen die Fastenzeit ein.
Beim Karneval wurde vor allem die Halbmaske getragen, so dass man ohne größere Schwierigkeiten essen, trinken und vielleicht auch noch mehr konnte…
Das Tragen von Masken war auch außerhalb des Karnevals üblich. So notierte Goethe während seiner italienischen Reise am 4. Oktober 1786: „Es war mir die Lust angekommen mir einen Tabarro mit den Apartinentien anzuschaffen, denn man läuft schon in der Maske.“
Ich feiere lieber in den privaten Palazzi im engeren Kreise als im Selfiegewitter der Touristen. Signore mit dem klassischen Dreispitz – ich mit moretta, eine kleine Maske aus schwarzem Samt. Ursprünglich wurde sie im Mund gehalten, so dass die Trägerin nicht sprechen kann, was mir wohl eher schwer gefallen wäre.
Mit vielen Szenen im Kopf verließ ich den altehrwürdigen Palazzo irgendwo inmitten von San Polo. Venezia mon amour – ich komme wieder.
„Die Dunkelheit lässt sich nicht vertreiben, indem man sich mit ihr auseinandersetzt, auf diese Weise nährt man sie nur.“ Aus: Die Seele will frei sein von Michael A. Singer
Apartinentien: Im Apartment in Argentien
Traditionen sind sehr wichtig! Daher ein großes Kompliment für ihre aktive Beteiligung.