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Ich nahm die Tage an einer Old- & Youngtimerausfahrt durch den Hochtaunus teil. Muss euch enttäuschen – leider nur als Beifahrerin, wobei diese wichtige Aufgaben hat, denn sie sollte nicht nur schnell das analoge Roadbook lesen (kann ich, da ich noch nicht Generation Navi bin), rechts und links auseinanderhalten können, sondern auch gut im Kopfrechnen sein. Das Gehirn im Rallyeauto sitzt rechts…bzw bei uns links, da wir mit einem britischen Rechtslenker unterwegs waren. Anyhow, der Kopilot ist dafür verantwortlich, dass der Fahrer nicht falsch abbiegt..und falls doch – sind daran schon Ehen im Oldtimer-Cockpit zerbrochen.

Da wir nur einmal falsch abgebogen sind (und dennoch nicht geschieden) haben wir unseren Zwischenstopp als einer der Ersten erreicht. Der Morgennebel war verschwunden und schon aus der Ferne blickte, wie eine Ritterburg aus dem Märchenbuch, Schloss Braunfels von einer felsigen Bergspitze aus auf die umliegende kleine gleichnamige Stadt, die Landschaft weit hinein bis zum Lahntal dominierend. Im Jahr 1240 erstmalig als Castellum Bruninvels (brauner Basaltfels auf dem es erbaut wurde) Sitz der Grafen von Solms, erwähnt, stellte sich dieses über die letzten 700 Jahre als sehr wandelbar dar – von einer mittelalterlichen Schutzburg mit romanischem Palas, Bergfried und Schildmauer zur barocken Residenz im 18 Jh. bis zu einem neogotischen Märchenschloss, indem im ausgehenden 19 Jh. der Rittersaal nach historischem Vorbild wiederauferstand. Heute sind dort Schlag-, Stich- und Feuerwaffen für Turniere, Krieg und Jagd sowie Rüstungen für Krieger und Pferde ausgestellt. So ein ordentliches Ritterequipment kostete im Mittelalter umgerechnet ca. 500.000 € – kein Wunder das die Ritter fast alle adliger Abstammung waren. Gelegentlich haben sie aber auch mal eine Lanze für jemanden gebrochen, als sie in Turnieren gegeneinander antraten, um herauszufinden, wer der stärkste und mutigste unter ihnen war. „Eine Disziplin dieser Wettbewerbe war der sogenannte Tjost, der Kampf mit den Lanzen…die in den Turnieren zum Einsatz kamen und während des Kampfes zu Bruch gingen. In der mittelalterlichen Vorstellung kämpften die Ritter nicht für sich, sondern für andere – das konnte ein Adliger oder eine Frau sein, die sie beeindrucken wollten. Sie brachen also ihre Lanze zur Ehre dieser Personen“.

Mit seinen zinnenbewehrten Türmen, Wehrgängen, Bastionen und Kanonen hat das aus einer mittelalterlichen Burg entstandene Schloss sowohl ein wehrhaftes als auch romantisches Aussehen. Seit dem 14 Jh. kamen mit der Erfindung von Feuerwaffen mit größerer Reichweite Ringmauern mit Verteidigungstürmen und Wallanlagen hinzu. Das heutige Schloss ist Ergebnis jahrhundertelanger Um- und Ausbauten und als einer der bedeutendsten Schlossumbauten des Historismus kommt ihm eine hohe überregionale Bedeutung zu. Aus der romantischen Geisteshaltung heraus, das Mittelalter neu entstehen zu lassen, entstand eine idealisierte neogotische Phantasieburg mit 21 damals neu errichteten malerischen Türmen und Erkern.


Schloss Braunfels – Auszug aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian 1655

Der Stich aus der Topographia Hassiae gibt Aufschluss über den Zustand der Burg vor ihrer barocken Umgestaltung zum Schloss (ab 1680). Während des Dreißigjährigen Krieges war Schloss Braunfels umkämpft und wurde schwer beschädigt, 1621 wurde es kampflos von Spanischen Truppen im Auftrag des Kaisers besetzt, 1632 von schwedischen Truppen erobert, die es aber bereits 1634 wieder an die Kaiserlichen verloren. Ein Jahr später besetzte ein Graf von Nassau-Dillenburg mit einem Überraschungsangriff das Schloss und 1641 konnte Graf Johann Albrecht II. zu Solms-Braunfels es finally wieder in den Besitz der Adelsfamilie nehmen.

Das blau-gelbe (in meiner Farbwahrnehmung eher grau-beige) Pflaster des Schlosshofs steht für die Farben der Fürsten zu Solms-Braunfels, die hier mittlerweile schon in der 21. Generation residieren.

Umfangreiche Sammlungen mit historischen Kunstwerken und Royal Interiors der Fürsten sind in den Gesellschaftsräumen des Schlossmuseums zu besichtigen.

Besonders ins Auge gefallen sind mir unzählige Halali Gemälde des auf Tier- und Jagdmotiven spezialisierten Carl Friedrich Deiker. Er malte mit Vorliebe dramatische Szenen des von Jägern verfolgten Hochwildes aber auch Naturidyllen, wie das oben von mir in der Sammlung heimlich schnell und verbotenerweise photographierte Motiv.

Es fängt an zu regen, wir verlassen diesen märchenhaften Ort, ich drehe mich noch einmal um und sehe die Schloßshilouette oben auf dem Berg immer kleiner werden.

Nächster Boxenstop ist in einem Dressurreitgestüt im Taunus. Hier gibt es sogar Pferde Spa mit Aquatraining (siehe Photo) Therapeuten und Pferdeflüsterinnen.

Noch die wilden Jagdszenen vor Augen bewundere ich die grazilen Ballett Bewegungen des stolzen Dressurpferdes welches exklusiv für unsere Gruppe seine kunstfertigen Runden in der Halle dreht. Dabei kommt es ganz auf die positive Körperspannung des Pferdes und die gute Chemie zwischen Mensch und Tier an, wie uns vom ehemaligen Olympia Gewinner gesagt wurde.

Auf den Hofwiesen konnte ich dann noch allerlei Zuchtstuten bewundern, eine stammte sogar von Totilas, einem zu seinen Lebzeiten international sehr erfolgreichem Dressurpferd, ab, beziehungsweise von seinem Gefriersamen, den man für Zuchtembryonen im Röhrchen für schlappe 32.000 € erstanden hat.

1 Pferdestärke – PS ist übrigens in „DIN 66036 definiert als die Leistung, die erbracht werden muss, um einen Körper der Masse m = 75 kg entgegen dem Schwerefeld der Erde (bei Normfallbeschleunigung 9,80665 m/s²) mit einer Geschwindigkeit von 1 m/s zu bewegen.“ (Wikipedia) Wobei die Leistung eines Pferdes je nach Rasse und Trainingszustand erheblich abweicht: Ein Pferd kann, etwa beim Springreiten, kurzzeitig über 20 PS leisten !

Unser Youngtimer, in den wir gleich wieder einsteigen, leistet mit seinen 232 PS aber sogar noch mehr als all die Superhengste auf der Koppel zusammen…wrom, bru-u-u-mm.

Wenn ich mal wieder nach Braunfels komme dann vielleicht nur mit einem PS über die sogenannte Pferdetreppe, ein Weg vom historischen Stadtkern zum Schlosshof.

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