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81°55 nördliche Breite, 12º10′ östliche Länge

Im Anschluss an die gestrige Tour in die polare Wüste und den Vogelfelsen Alkefjellet in der Hinlopenstraße geht es heute, vorbei an weiteren Inseln, direkt nach Nordwesten auf der Suche nach dem „ewigen“ Eis. Svalbard erstreckt sich zwischen dem 74° und 81° Breitengrad und ist auf 400 Inseln verteilt, von der nördlichsten Insel sind es nur noch 1.000 Kilometer bis zum Nordpol!

Das Ziel ist klar, die Strecke nicht. Der Kapitän will an die nordpolare Packeisgrenze heranfahren, aber auf welcher Breite sie nördlich von Spitzbergen liegt ist noch offen. Noch vor einigen Jahren war es auch im Sommer wegen der Eislage schwer bis unmöglich Spitzbergen zu umrunden, ein Eisgürtel umschloß Svalbard. Die Fläche und Dicke des Meereises verringert sich dramatisch, so dass man immer weiter nordwärts muss um das Packeis zu sehen. Auf dem Wasser zeigen sich zunächst keine größeren Eisschollen. Die Sicht ist gut, der Himmel etwas bedeckt. Die Lufttemperatur liegt bei 1 °C, die des Wassers bei 2 °C, es weht ein leichter Wind von Nordost.

Ein eistaugliches Schiff fährt so wenig wie möglich durch Eis, sondern so lange es geht um das Eis herum. Doch irgendwann am Morgen rumpelt und dröhnt es im Schiff – wir haben die Eisgrenze erreicht und schieben mit langsamer Geschwindigkeit immer weiter ins Packeis hinein. Es entsteht aus einzelnen Schollen und immer dicht gedrängteren Feldern.

Das Eis wird wird auf allen Seiten immer dichter. Es scheint als sei der Ozean gefroren. Eine weiße Wüste breitet sich ab dem 80° Breitengrad bis zum Horizont aus. Bei 81º 55.7′ Nord, 8/10 Eisbedeckung bleibt das Schiff im Eis erstarrt stehen.

(Nur) noch 898 Kilometer bis zum Nordpol. Die Poliarnitsa in mir ist euphorisch.

Eine faszinierende Vielfalt an bizarren Formen und Strukturen, schaukelnden Schollen, knisterndem Eis breitet sich vor mir aus. Ich kann gar nicht aufhören zu photographieren.

Denke an eines meiner Lieblingsbilder: EIS von Gerhard Richter.

Ich erlebe die für mich bisher abstrakte „nordpolare Eiskappe“ mit allen Sinnen. Ich stecke drin!

Ab jetzt kann ich mir die circumpolare Welt der Pole anschaulich vorstellen – ein weißer Fleck auf meiner Landkarte verschwindet. Doch tatsächlich sind Arktis und Antarktis mit die letzten Gebiete der Erde, wo es noch weiße Flecken, unbekanntes, unerforschtes Land, gibt: Terra incognita.

Das Eis ist nicht nur weiß – in den umhertreibenden Eisschollen finden sich Süsswasserbassins in Arctic blue. Je älter das Eis ist, umso blauer erscheint es, da das Salz im gefrorenen Meerwasser immer mehr ausgewaschen wird.

Die Eisdecke bildet sich, da die Oberflächentemperatur des Nordpolarmeeres viele Monate im Jahr (noch) sehr niedrig ist und nur in der milden Wärme der Mitternachtssonne leicht ansteigt. Sie ist selten dicker als drei Meter. 

Die Eispassage bot mir nicht nur erhabene Eismomente, sondern auch eine einzigartige Tierbeobachtung. Nanuk (Inuit für Eisbär) – die Ikone der Arktis ist in Sicht!

Endlich sehe ich einen Eisbären in seinem angestammten Lebensraum, dem dichten Treibeis. Die Eisgrenze wird auch „possible polar bear country“ genannt.

Schaue dem Bär live beim Robbenfang zu. Er erlegt und frisst sie – eine blutige Angelegenheit. Der Ursus maritimus (Meerbär) steht ganz oben in der arktischen Nahrungskette, nur von einem ausgewachsenen Walross lässt er lieber seine Klauen. Er ist der König der Kälte, Herrscher über ein schmelzendes Reich.

Das gesichtete Exemplar muss ein erfahrener Jäger sein, denn es ist gut genährt. Am Ende seines Lunch (von dem er eine Woche zehrt) lässt der Bär oder die Bärin (das kann ich aus der Ferne nicht bestimmen) einige wenige Reste übrig. Was auf der Scholle liegen bleibt, ist ein Festmahl für die sehr selten gewordenen Elfenbeinmöwen – in der arktischen Nahrungskette bleiben keine Reste…Der Bär läuft wieder zurück ins Eis. Ein einsamer Jäger.

Der Eisbär war für mich schon immer irgendwie ein „cooles“ role model

Ich möchte ein Eisbär sein im kalten Polar
Dann müsste ich nicht mehr schrei’n
Alles wär‘ so klar

Eisbär’n müssen nie weinen

Der von mir als Teenie heiß geliebte „Neue Deutsche Welle“ Song ist 42 Jahre alt. Nichts ist mittlerweile mehr klar im kalten Polar…

Es ist bekannt, dass ein Film aus Tränenflüssigkeit die Augen von Eisbären bedeckt, doch eine Mimik, die bei Menschen auch Tränen austreten und über das Gesicht fließen lassen kann, zeigen die Tiere dagegen kaum – für das Überleben ihrer Art wäre es besser damit zu beginnen, um emphatische Menschen vielleicht doch noch zu bewegen sie nicht auszurotten.

Früher wurden die Eisbären von Trappern und Großwildjägern scharf gejagt, seit 1973 ist die Jagd auf und um Svalbard verboten; es gibt wieder etwa 3.000 Tiere. Doch diese sind vom Klimawandel bedroht, denn als Treibeistier ernähren sie sich vorzugsweise von Robben, die sie auf dem immer weiter schwindenden Eis nur noch selten erbeuten. 

Das obige Photo von mir ist aus Grönland, vor einigen Wochen entstanden – dort ist die Jagd auf Eisbären Teil des kulturellen Erbes und wird nach dem Quotenprinzip geführt. Jeder Ort hat eine bestimmte Quote an Bären, die geschossen werden dürfen.

Über den großen Packeisfeldern ist die oft beschriebene arktische Ruhe zu hören – driften langsam dahin – melancholisch erhaben.

Das Eis zieht nach Süden. „Langsam, stolz wie eine Festung, zieht die ewige Reihenfolge weißer Särge dem Grabe zu, in der südlichen Sonne.“ Julius Payer, Polarforscher, 1872

Endless summer nights – sorry: days!

Mitternachtssonne – sitze Bug voraus an der Bar in gleissendem Sonnenschein. Fühle mich wie auf einem anderen Planeten: Zeitlos. Schwerelos. Leinen los.

Schlaflos in der Arktis.

Nehme noch einen Absacker mit den Eisbärenwächtern, zwei reisefreudige Studenten mit Jagdschein. Gin on the rocks – mit über tausend Jahre alten Eiswürfeln. Dresscode: mein signatur piece der Reise – die Eisbärenweste aus der Roma et Toska „Eisbären im Sommer“ Kollektion. Für dieses Teil musste kein Tier getötet werden, schon gar nicht ein Eisbär. Die Mohair Ziege wurde geschoren und ihr Haar zu Fell verwebt.

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