54° 6′ nördliche Breite, 13° 23′ östliche Länge
Ólafur Elíasson, einer der renommiertesten (Licht) Künstler der Gegenwart begeistert weltweit mit aufsehenerregenden Installationen aus farbigem Glas, spiegelnden Materialien oder künstlich erzeugten Naturphänomenen wie Wind, Wasser, Licht oder Nebel.
Seit einem guten Jahr nun auch im Greifswalder Dom St. Nicolai. Die „Fenster für bewegtes Licht“ wurden anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich, geboren 1774, in seiner Taufkirche in Greifswald gestaltet. Inspiriert von den Lichtspektren des romantischen Malers, insbesondere von seinem Gemälde „Huttens Grab“, wo durch Chorfenster einer gotischen Kathedralen-Ruine überirdisch wirkendes Licht von rötlich zu gelb dringt um zum oberen Rand der Fenster hin bläulich transparent zu werden.
Die drei zentralen Fenster in St. Nicolai zeigen von unten nach oben changierend die Farbpalette eines Sonnenaufgangs. Wobei im Gemälde eher ein Sonnenuntergang zu sehen ist…

„Die farbigen Gläser nehmen das von Osten in die Kirche einfallende Licht auf und illuminieren den Kirchenraum“ – sagte Dom-Pastor Tilman Beyrich. Spiegelinstallationen lenken und multiplizieren es. Der Kirchenraum wird so im Wandel der Tages- und Jahreszeiten illuminiert.
Der Greifswalder Dom ist wie nahezu alle Kirchen nach Osten, zur aufgehenden Sonne hin, ausgerichtet – Ex oriente lux!

Die neuen Fenster, die ich kürzlich sah, tauchen den Innenraum des Doms ins Licht des 21. Jahrhunderts. Sie sind eine Hommage an den Farbvirtuosen aus Greifswald, der schon seit Kindertagen von Licht, Wachs und Gold umgeben war. Sein Vater, Adolph Gottlieb Friedrich, arbeitete als Lichtgießer. Bestimmt sah der kleine Caspar oft aufmerksam zu, wenn er flüssiges Wachs in Formen goss und daraus Kerzen zog.

Für seinen Entwurf für die Ostfenster im Greifswalder Dom hat sich Elíasson intensiv mit dem Werk Caspar David Friedrichs auseinandergesetzt.
Das dynamische geometrische Muster entwickelt sich von Rauten und Quadraten im unteren Bereich bis hin zu sich überlagernden, größer werdenden Kreisen im oberen Bereich. Der Verlauf spielt auf einen Prozess potenziell endloser Veränderung an, der sich über die Grenzen der Fenster hinaus fortsetzen könnte. Die Kreise korrespondieren mit den existierenden Rundfenstern, die den krönenden Abschluss der Fenster bilden.

Das Kircheninnere wurde in der Zeit der Romantik (von 1824 bis 1832) u. a. durch Christian Friedrich, den jüngeren Bruder Caspar Davids, umgestaltet. Auch nachfolgende Renovierungen wollen diese „romantische“ Vision eines gotischen Sakralbaus erlebbar machen: „Dom romantisch“.

So ist das heutige Aussehen des Doms eng mit der Kunst- und Architekturauffassung Caspar Davids verbunden. Ein Friedrich Ort. Für den Maler stand die lichtdurchflutete, schlichte Klarheit eines Kirchenraumes im Vordergrund.

Bischof Jeremias griff für seine Einweihungspredigt Worte des Malers auf, der eine Innenschau forderte, bevor etwas nach außen dringen könne: „Erst wenn das äußere Sehen nach und nach in das innere Schauen übergeht, werden die Fenster zum wahren Zielpunkt unserer nach Osten ausgerichteten Augen. Dann spiegelt sich in den tausendfachen Brechungen des farbigen Lichts, die Größe des Schöpfers selbst. So seien diese Chorfenster nun in Gebrauch genommen, im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“…

Von der virtuellen Visualisierung zum Making Off – das Verbleien der Fenster.

Die Glasfensterfront ist zusammengesetzt aus 3.383 einzelnen mundgeblasenen Scheiben in 65 Farbtönen. Shades of Sunrise.

Zwischen Fensterfront und Binnenchor wurden noch zahlreiche Effektspiegel eingebaut, die das farbige Licht in den Dom zurückwerfen.

„Ich stelle mir vor, wie mein Kunstwerk…die Atmosphäre im Altarraum transformiert, indem es den Wandel der Licht- und Wetterverhältnisse außerhalb des Kirchenraums nutzt. Wegen ihrer Ausrichtung nach Osten fällt durch die Fenster des Kirchenchors je nach Witterung und Jahreszeit normalerweise nur in den Morgenstunden direktes Sonnenlicht. Aus diesem Grund werde ich außerhalb der Fenster einen Heliostat installieren…der mithilfe eines beweglichen Spiegels das Sonnenlicht einfängt und bis in den Nachmittag umlenkt, sodass es durch die neugestalteten Buntglasfenster fällt.


Die Zeitspanne, in der das Tageslicht die Apsis durchdringt und den Raum ebenso wie die Chorwand in farbiges Licht taucht, verlängert sich dadurch. Diese Wirkung wird mithilfe von zusätzlichen Spiegeln, die im Innenraum in Fensternähe angebracht werden, verstärkt. Am Nachmittag gewinnt das Raumerlebnis durch die gelenkte Reflexion des Sonnenlichts – der Tag wird sozusagen gespiegelt“.

Auch von außen sind die Kirchenfenster ein Eyecatcher.

In seinem Kunstwerk schwinge die Geschichte des Gebäudes mit, „eingebunden wie in einen großen Resonanzkörper“, ließ der Künstler mitteilen.
Die Chorfenster stehen sinnbildlich für den Lauf der Zeit. Ihr Motiv entwickelt sich mit den Veränderungen des Himmels, des Wetters und der sich wandelnden Lichtverhältnisse im Außen- und Innenraum des Doms. Sie erzeugen Eindruck von Unendlichkeit, Komplexität und ständiger Veränderung. Alles ist im Lichtfluss…Ohne sich auf das Sujet einer religiösen Geschichte festzulegen, rückt das Kunstwerk unsere Wahrnehmung in den Mittelpunkt. Op-Art.

Schon seit seinen frühesten Arbeiten beschäftigt sich Eliason mit physikalischen Phänomenen in der Natur, komplexen Ordnungen und Symmetrien. Sie helfen uns, die Welt zu ordnen, im Kleinen wie im Großen. Oft greift er auch auf flüchtige Materialien – wie Nebel, Eis oder Wasser – zurück, immer in der Auseinandersetzung mit Farben, Licht, Atmosphäre und Abstraktion. Aus seiner Sicht steckt darin ein besonderes Potenzial, darüber nachzudenken, dass unser Ich nicht fest und unveränderlich ist, sondern sich durch den ständigen Austausch mit anderen und der Welt um uns herum – mit Ideen, Geschichten und Orten – entwickelt.

Die farbigen Ostfenster bilden den Abschluss der romantischen Kathedralen Konzeption. Die vielfältigen sich auf ein Himmelsblau zu bewegenden Glasfärbungen, führen in eine Welt außerhalb des Domes. Es entsteht eine Bewegung zwischen Innen des Doms und Außen der Stadt, zwischen dem Hier und dem Ausblick in die Ewigkeit. Amen.
Einfach wunderbar 👍
Om mani padme hum
Wundervoll beschrieben-Danke!