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Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das unsre weit und breit,
|: wo wir uns finden,
wohl untern  Linden,
zur Abendzeit! 😐

Die rheinisch-bergische Volksliedmelodie des 1840 von Zuccalmaglio veröffentlichten Abendliedes No. 274 „Kein schöner Land“ klingt mir schon seit Tagen durch den Kopf. Vielleicht wegen dem intensiven Duft der Lindenblüten die gerade ihren olfaktorischen Reiz verströmen. Vielleicht weil ich die nächsten Wochen, trotz Aufhebung der Reisebeschränkungen, nicht aus diesem „schönen“ Lande herauskomme. Vielleicht weil am Wochenende Sommersonnenwende war und morgen die Johannisnacht. Der darauffolgende  Johannistag am 24. Juni ist das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers und seit der Christianisierung Europas verknüpft mit Sonnenwendbräuchen wie dem Johannisfeuer oder dem zu dieser Zeit besonders günstigen Sammeln von Kräutern, die oft auch in das Feuer geworfen werden, um dessen Abwehrkräfte zu erhöhen. Ja, ich kann auch „Kräuterhexe“… Die Asche aus dem Johannisfeuer wird danach über die Felder gestreut, an die Häuser werden Kräuter und Blumenkränze gehängt, um sie vor Unwetter zu schützen. Ich habe früher an diesem Tag immer einen Blumenkranz auf das Haupt der Tochter gelegt.

Eine weitere Erinnerung verbinde ich mit dem traditionellen „Kein schöner Land“ mit Transsilvanien, wo wir eines Abends mit Freunden in großer Runde in einem Hofgut bei Siebenbürger Sachsen eingeladen waren, die Gastgeber selbstgebrannte Obstschnäpse kredenzten, eine Gitarre holten, und begannen zu singen. Völlig verwundert, dass wir mit Ach und Krach nur den Liedtext der ersten Strophe auswendig wussten. „Ob wir in Deutschland nicht gerne singen würden“ fragten sie uns.

Das in Wir-Form gehaltene Lied schildert das „Idealbild freundschaftlicher Zusammenkünfte an Sommerabenden in freier Natur“. Von daher doch eigentlich top aktuell für den Sommer 2020, wo zwar keine größeren Feste stattfinden, aber beschaulich kleine Runden im Grünen. Die Sänger sprechen in den Folgestrophen ihre Hoffnung auf weitere gleichartige Treffen aus und stellen dies der Gnade Gottes anheim, bevor sie sich in der letzten Strophe gegenseitig eine „gute Nacht“ unter Gottes Schutz wünschen. Why not.

Doch zurück zur Linde, sie galt bei Kelten, Germanen und Slawen als heiliger Baum, Mittsommer, die Sonnenwendfeste, wo die Sonne in Breiten oberhalb des nördlichen Wendekreises ihren Höchststand hat, als heilige Zeit. Viele Orte in Mitteleuropa hatten früher ihre Dorflinde, die das Zentrum des Ortes bildete, kommunikativer Meetingpoint und Treffpunkt für Brautschau und Tanzfeste war. Nach Kriegen oder Pestepidemien gab es den Brauch, sogenannte Friedenslinden zu pflanzen. Also wäre es doch mal wieder an der Zeit welche zu pflanzen…Am besten im Herbst oder im Frühjahr den Jungbaum in ein Loch von doppelter Wurzelballengröße setzen und nach dem Eingraben kräftig angießen. Die Sommerlinde kann bis zu 40 Metern in die Höhe wachsen und ist auch gut fürs Klima.

Etwa 850 Orte in Deutschland tragen Namen, die auf den Lindenbaum zurückzuführen sind. Der Name von Leipzig leitet sich beispielsweise vom sorbischen Wort Lipsk ab und bedeutet Linden-Ort. Der Lindenbaum und besonders sein Blatt ist das Symbol des serbischen Volkes. Im ehemaligen Land der Serben, mitten im Labyrinth des Spreewaldes, befindet sich eines meiner Lieblingshotels. Aber dazu wann anders.

Als meine Tochter kleiner war haben sie um den Johannes Tag im Kindergarten oft Weihnachtslieder gesungen, als wenn sie gespürt hätten, dass dieser Tag ein Spiegel des „Julfestes“ im Winter ist. Da Johannes, wie es in der Bibel steht, sechs Monate vor Jesus geboren worden ist, wird seine Geburt auf den 24. Juni datiert. Todestag meines Vaters, Hans, Kurzform des hebräischen Vornamen Johannes.

Am Brunnen vor dem Tore“ ist ein weiteres deutsches Volkslied. Sein ursprünglicher Titel lautet Der Lindenbaum. Der Text stammt von Wilhelm Müller und gehört zum Gedichtzyklus „Die Winterreise“ den Franz Schubert vertonte.

Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum…

Der Lindenbaum ist eine Station der Reise, in der ein junger Mann, alias das lyrische Ich, in einer Winternacht das Elternhaus der Geliebten verlässt und sich auf eine einsame, ziellose Wanderung begibt, zu deren Stationen vereiste Flüsse, verschneite Felsenhöhen, Dörfer, Friedhöfe – und eben auch der Lindenbaum gehören. Das erste Verspaar besingt mit Brunnen, Tor und Lindenbaum klassische Bestandteile eines „Locus amoenus„, lieblichen Orts. Im Gegensatz zu den anderen von Fels, Eis und Schnee bestimmten Naturbildern der Winterreise wirkt das Ensemble Brunnen/Tor/Lindenbaum wie das Klischee einer idyllische Insel.

Ab heute werden die Tage wieder kürzer…bald werde ich nicht mehr den Duft der Linden riechen, sondern das Rauschen ihrer blattlosen Zweige hören… und schutzlos Weiterwandern, weiter Reisen. Die Sonnenwenden liegen auf einer Achse…auf welcher das Abwärts genauso wichtig ist wie das Aufwärts. Wenn wir den längsten Tag des Jahres feiern stehen wir im Licht und wissen dass die Dunkelheit auf uns wartet. Wenn wir die längste Nacht feiern stehen wir im Dunkel und wissen um die Wiedergeburt des Lichtes und das Erblühen der Linden…

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