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54° 87″ nördliche Breite, 8° 46″ östliche Länge

Kliffe üben auf mich, wie schon mehrfach beschrieben, eine besondere Faszination aus, vielleicht weil an ihnen das Wirken der Meeresbrandung auf eine Steilküste direkt sichtbar wird. Die Natur als Bildhauer, so auch am Morsum Kliff, welches sich im Osten von Sylt über zwei Kilometer erstreckt. Von rechts nach links oben das „bunte Kliff“ mit seiner charakteristischer Dreifarbigkeit: dunkelgrau obermiozäner Glimmerton, in der Mitte rotbrauner Limonitsandstein, dessen ausgespülte, schüsselförmige Bruchstücke traditionell als „Geschirr der Unterirdischen“ bezeichnet werden, links der helle Kaolinsand (Kaolin = Porzellanerde). Er wurde präglazial durch ein großes, wasserreiches Flusssystem aus dem baltischen Raum herangeführt und im schleswig-holsteinischen Raum abgelagert. Dort ist er heute nur noch an sehr wenigen Stellen sichtbar. Weiss, rot, schwarz. Oder doch eher schwarz, rot, gold ? Diese Schichten repräsentieren innerhalb des Tertiärs eine geologische Zeitspanne von 2 bis 11 Millionen Jahren.

Innerhalb der 3. Scholle liegt einige Meter einwärts, inmitten von Glockenblumen, Sandthymian und Heide, ein Dünental, das mit seinem feinem, rotem Sand an eine Wüstenlandschaft erinnert: „Klein-Afrika“. Durch spezielle Windverwirbelungen wird es hier an manchen Tagen bis zu 50 Grad heiss ! Nichts wie hin zu diesem Hotspot an einem so stürmisch regnerischen Tag wie heute.

Das Kliff ist ein geologisches Fenster in uralte Gesteinsschichten und bietet Einblick in die letzten Phasen der neueren Erdgeschichte vor den quartären Vereisungen. Die eigentliche Kliffbildung fand erst postglazial statt, aus dieser Zeit stammen auch die Sanddünen im oberen Abschnitt.

Die geologische Bedeutung dieses Kliffs resultiert vor allem aus Auffaltungsprozessen, durch die, vor etwa 120.000 Jahren, tiefer liegende Erdschichten unter Einwirkung der Gletscher an die Erdoberfläche gedrückt wurden. Diese Schichten sind in ihrer natürlichen Lage zu vier Schollen aufgestaucht und schräggestellt, so dass sie heute in der Reihenfolge ihrer Entstehung nebeneinander im Morsum Kliff, welches bereits seit 1923 Naturschutzgebiet ist und dadurch nicht wie eigentlich geplant zu Baumaterial für den Hindenburgdamm wurde, zu sehen sind. Hier wachsen Besenheide, Krähenbeere, Lungenenzian und das gefleckte Knabenkraut, eine seltene Orchideenart.

„Tertiäre Gesteine lagen zu Beginn der quartären Eisbewegungen als jüngste sedimentäre Ablagerungen oberflächennah in norddeutschen Meeresbecken. Sie wurden durch das vordringende Eis vielerorts in Schleswig-Holstein in Schollen gestaucht, auch aufgenommen und mitgeschleppt. Im Untergrund von Morsum konnte unter der glazialen Bedeckung eine „bogenförmig aufgeschuppte Stirnmoräne“ aus tertiären Gesteinen (Gripp 1964) festgestellt werden. Sie wurde im Bereich des heutigen Kliffs durch die Küstenerosion angeschnitten und zeigt uns nun im Kliff etwas von ihrem inneren Aufbau.“

Ankunft von Flüchtlingen aus Ostpr[eußen] in Schleswig-Holstein

Noch nicht ganz so prähistorisch lange her ist die Stunde Null. 1945: Wolfszeit (Lupuszoikum; frei übersetzt von mir). Der Krieg war überstanden, doch die Not blieb. Bald lebten 26.000 Menschen auf Sylt, davon 14.000 Heimatvertriebene. „Fast jeder Flüchtling hat weniger Platz, als es heute ein Hundezwinger vorschreibt. Die Gestrandeten schlafen auf Stroh und heizen notdürftig mit Treibholz vom Strand. Auf dem Speiseplan stehen dünne Kohlsuppe, Beeren aus der Heide und Schnecken aus dem Wattenmeer… „Dieser Winter bleibt uns unvergessen. Es gab keine Kartoffeln,   stattdessen Kohlrüben in allen Variationen. Glücklicherweise brachten die Stürme manche Überraschung mit sich, so dass man morgens als erstes zum Strand ging.   Einmal wurden Dosen mit Bohnenkaffee angespült und sogar ein dicker Wal, der sicherlich vier Meter lang war.“ aus: Sylt – die Stunde Null: Zwischen Abgrund und Aufbruch: Wie die Insel die Nachkriegszeit durchlebt

1947 waren von den damals 10.000 Ferienquartieren 6.000 mit Flüchtlingen belegt, der Rest nahm Gäste mit einem entschlossenen Willen nach einem ersten Nachkriegsurlaub wieder auf. „Wegen der Zuteilungsverordnungen mussten die Naturalien für das Abendessen von jedem Besucher selbst besorgt werden. Man gab sie morgens in der Küche der Ferienpension ab, zusammen mit einem Zettel, auf dem Name, Zimmernummer und besondere Hinweise für die Zubereitung notiert wurden….“ In Zeitungsreportagen über die reich gedeckten Tischen war zu lesen: „Es gibt Menschen, die sich über so einen Nachbartisch freuen und sagen „So wird es uns vielleicht bald allen wieder gehen“ und es gibt Menschen, die sich den ganzen Ferientag darüber ärgern. Solche Menschen sollten nicht nach Sylt reisen.“ aus: Wolfszeit, Harald Jähner.

Teilen statt besitzen war wohl noch nie so ganz das Motto dieser Insel, höchstens vielleicht unter den Strandräubern in Rantum, aber das ist eine andere Geschichte.

Es leben übrigens ca. 120 Afrikaner auf Sylt, sie stellen damit ca. ein Prozent der mit dem Hauptwohnsitz gemeldeten Einwohner dar. Meist treten sie kaum in Erscheinung: und verbringen ihr Arbeitsleben hinter den Kulissen, beispielsweise in Restaurantküchen. Dort muss man heute zum Glück nicht mehr seine Naturalien morgens abgeben, damit abends Essen auf dem Tisch steht. Obwohl, hätte fast schon wieder Trendpotential. Ich gehe mal in die Heide Krähenbeeren pflücken…

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