45°50′ nördliche Breite, 10°73′ östliche Länge
Heute war Zeitumstellung auf MEZ/Winterzeit, Ende einer sehr speziellen Sommerzeit. Was wäre, wenn die Zeit nicht nur um eine Stunde, sondern bis zum 01.01.2020 zurückgestellt worden wäre…? Doch trotz Pandemie gab es zwischendurch auch Momente unbeschwerter Leichtigkeit des Seins, voller sommerlicher Italianata im Land wo die Zitronen blühn.
Insbesondere die Tage am Lago di Garda, wo ich aus der venezianischen Hitze kommend die sanft laue Temperatur des Herbstanfang genoss. Lago e Monti. Steinpilze statt Seafood. Aber noch hatte ich Venetien nicht verlassen und blieb in gewisser Weise der Serenissima, deren Spuren überall noch zu finden sind, wie in der Dogana Veneta, die während der Republik von Venedig zum Arsenal, später zum Zollamt wurde und am venezianischen Markuslöwen an der Stadtmauer in Lazise, treu.
Der Gardasee wurde in der letzten Eiszeit durch einen Seitenarm des Etschgletschers geformt. Erste Besiedlungen des Seeufers datieren um das Jahr 2000 v. Chr. Sein antiker Name lautete Lacus benacus. Benacus war eine keltische Lokalgottheit Oberitaliens und wurde mit dem römischen Gott Neptun in Verbindung gebracht. Der wiederum entspricht dem griechischen Wassergott Poseidon – Gott des Meeres, der fließenden Gewässer, der springenden Quellen oder sogar des Wetters.
Das Wetter am Mare Garda kann sich sehr schnell verändern, was ich vor einigen Jahren nachts als der Wind plötzlich von Süd (Ora)- in starken Nordwind (Balin) umschlug, bei einer stürmischen Seeüberquerung von Salo nach Torri de Benaco am eigenen Leib spürte. Am Steuer war Bodo Kirchhoff (einer meiner Lieblingsschriftsteller), die Teilnehmer seines Schreibseminares „Die Kunst des Erzählens“ und seine damalige Frau, die mit Hündchen im Arm schrie: „Bodo ! – Du bringst uns alle um !“, was nicht gerade zu meiner Beruhigung führte, – das tat er aber zum Glück nicht. Er fuhr uns souverän durch einen unglaublichen Sturm mit Meter hohen schaumigen Wellen und brachte uns sicher wieder an Land. Poseidon sei Dank ! Worauf wir völlig durchnässt, schwankend an Land gingen und eine Flasche Grappa kreisen ließen und leerten.
Der größte See Italiens bildet durch seine in Nord-Süd Richtung langgestreckte Form, am Nordufer gerahmt von Alpengipfeln, im Süden sanft in die geschwungene Hügellandschaft der Po-Ebene übergehend, besonders charaktervolle Winde, hervorgerufen durch die unterschiedlichen thermischen Bedingungen zwischen Berg und Tal.
In Torri del Benaco wie auch in Lazise steht eine der zahlreichen Scaliger Burgen. Im 15. Jh. wurde der See und seine Uferorte zum Schauplatz im Kampf um die Vorherrschaft in Oberitalien zwischen dem Herzogtum Mailand und der Dogenrepublik, die 1439 eine ganze venezianischen Flotte vom Etschtal über die Berge transportiert hat, Galeas per montes. Viele weitere Schlachten folgten; Napoleon im Italienfeldzug gegen die Habsburger, die in den 1860er Jahren weite Teile des Sees, der erst im Laufe des 20 Jh. komplett zu Italien zählte, verloren.
Heute dient die Burg jedenfalls nicht mehr zum Schutz vor Feinden, sondern mit ihrem Zitronengewächshaus (it. limonaia) als Attraktion von Touristen. Es ist eines der wenigen limonaia, die noch in Betrieb sind. Erstmals erwähnt wurden die Zitronengewächshäuser 1535, der Überlieferung nach, brachten Franziskanermönche den Zitronenanbau bereits im 13. Jh an den Gardasee. Während seiner Blütezeit im 17. und 18. Jh. gab es in Torri achtzehn Gewächshäuser. Die Blüte der Zitronenpflanzen, nach dem Alten Testament die schönsten und edelsten Früchte überhaupt, dauert von Mai bis Juli, die Ernte der Zitronen (durchschnittlich 600 pro Pflanze) fällt in den Spätherbst. Danach werden die Fenster der Gewächshäuser geschlossen, um die Temperatur über O° C zu halten. Bei großer Kälte wird mit Feuer geheizt, im April werden die Gewächshäuser dann wieder geöffnet.
Die meisten finden sich am Westufer an der Riviera dei Limoni. Manche Hotels sind diesen verglasten Pfostenbauten nachempfunden, wie das Corte Valler in dem ich weilte, oder sogar in sie eingebaut.
Ich trage wohl, wie viele aus meiner Generation, ein Italien Gen in meiner DNA, gespeist von Erzählungen der Eltern, die in den 1950ern mit den ersten VW-Käfern über den Brennerpass Richtung Süden fuhren, den verblichenen schwarz-weiß Photos der Hochzeitsgesellschaft auf San Marco, des Großvaters mit Borsalino und Leinenanzug auf Capri, die stolze zur Miss Riccione gekürte Mama…Der Gardasee als Entree nach Bella Italia, Traumziel und Sehnsuchtsort, erfuhr 2020 mit seinem milden Klima, der mediterranen Vegetation und italienischer Lebensfreude, aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen seine Renaissance.
Apropo Lebensfreude – bei einem Abendessen stieß ein Kellner versehentlich unsere Weinkaraffe um, entschuldigte sich mehrfach und beteuerte wie schade es um das Aqua Santa sei. Zur Wiedergutmachung brachte er uns nicht nur dieses neu sondern auch noch Aqua santissima (Grappa, Limoncello etc.) nach Wahl. Diese hedonistisch bachantischen Superlative sind nur noch durch, wie er es nannte, Amore Acrobatico oder/und eine rasante Bootstour über den See zu steigern.
Noch etwas traumatisiert von meiner einstigen stürmischen Bootsfahrt entspannte ich mich bei einer solchen entlang des wunderschönen Ostufers erst nach und nach.
Für weitere Erinnerungen an einen vergangenen Sommer sorgt in dieser dunkler werdenden Zeit der Drink des Abends (der ab heute ja eine Stunde länger ist) – dreimal dürft ihr raten…: Limoncello. Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limoncello draus… Mit ganz viel Eis damit es nicht verwässert. Salute !
Dazu empfehle ich Paolo Conte´s Klassiker der an diesem Nachmittag bei Da Umberto auch lief: Un gelato al limon
Un gelato al limon, gelato al limon gelato al limon
Sprofondati in fondo a una citta
Un gelato al limon e vero limon
Ti piace?
Mentre un’altra estate passera Liberta e perline colorate, ecco quello che io ti drao
E la sensualita delle vita disperate
Ecco il dono che io ti faroDonna che stai entrando nella mia vita
Con una valigia di perplessita
Ah, non avere paure che sia gia finita
Ancora tante cose quiest’uome ti…