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Neumond über Nordpol

Vorgestern war Neumond (lat. Interlunium), oder Leermond, wie es in der Schweiz, wo meine Tochter lebt, heisst. Die Begriffe bezeichnen „die mit bloßem Auge nicht erkennbare Lichtgestalt des Mondes, wenn sich dieser zwischen Erde und Sonne,…befindet. Während dieser Konstellation sieht man von der Erde aus nur die Nachtseite des Mondes. Erst nach etwa 35 Stunden wird der äußerste rechte Rand (linke Rand, wenn von der südlichen Erdhälfte aus beobachtet) wieder vom direkten Sonnenlicht erhellt. Diese Mondphase ist das Neulicht... Die letzte sichtbare Phase vor dem Neumond heißt Altlicht. Der zweite Neumond in einem Monat und der dritte Neumond einer Jahreszeit mit vier Neumonden wird als Black Moon bezeichnet“. Black war der vergangene Neumond demnach nicht, aber ein gewisser Schatten lag dennoch über ihm, wie über dem April.

Vom April 2020 SUPERMOND zum LEERMOND

Bei dieser Abbildung sehen wir die Mondphasen von Voll- Halb-, und Neumond. Bei diesen Mondphasen ist ein Teil des Mondes nicht sichtbar, weil er im Schatten liegt. Woher aber kommt der Schatten? Die Schatten der Mondphasen kommen vom Mond selbst. Da der Mond um die Erde kreist, ändert sich das Aussehen des Mondes und seines Schattens. Wir sehen ihn bei Vollmond voll beleuchtet, bei Neumond seinen unbeleuchteten Teil, und dazwischen -bei Halbmond- den unbeleuchteten und beleuchteten Teil gleichzeitig von der Seite. „Genau so, wie wenn Sie jemanden am Strand beobachten, der in der Sonne steht. Gehen Sie um ihn herum, sehen Sie seinen unbeleuchteten Teil (Neumond), dann seine voll beleuchtete Vorderseite (Vollmond), und dazwischen die Seiten (Halbmond).“

Schatten werfen Schatten ad infinitum“ Ben Lerner

Nicht nur der Mond wirft Schatten, auch die Räume in Japan, wie im Lob des Schattens –  ( 陰翳礼讃, In’ei Raisan) von Tanizaki Juníchiro zu lesen. Dieses Essay ist, wie die Charta von Athen (siehe Blog Happy Bday Brasilia vom 22.04.2020) von 1933. Es scheint ein Jahr der Grundsätze gewesen zu sein und auch ein schattiges Jahr…

In der traditionellen japanischen Architektur, dem Bauen mit Licht und Schatten, war das Dach ein Schirm, der das Licht absondern und um das Haus einen dämmrigen Schattenbezirk schaffen sollte, dessen Magie einem japanischen Wohnraum erst seinen geheimnisvollen ästhetischen Ausdruck verleiht. Hingegen ist das Dach im Westen eher ein Hut, darauf angelegt ein Minimum an Schatten zu werfen und soviel Sonne wie möglich in das Haus einzulassen. Getreu Goethes Imperativ: Mehr Licht ! Die Schönheit eines japanischen Raums hingegen gründet, laut Junichiro, in der Abstufung von Schatten. Goethe nannte das stille Grau übrigens die „Farbe der Schatten“.

„Haben Sie“, fragt der Autor seine Leser, beim Betreten solcher Räume nicht auch schon das Gefühl gehabt…“daß Sie während des Aufenthalts in diesem Raum daß Zeitgefühl verlieren könnten, daß unbemerkt Jahre verstreichen und Sie als weißhaariger Greis daraus hervortreten könnten?“ Schönheit sei nicht in den Objekten zu suchen, sondern „im schwebend ewigen Helldunkel, im Schattenspiel, das sich zwischen Objekten entfaltet. Gerade wie ein phosphoreszierender Stein, der im Dunkel glänzt, aber bei Tageshelle jeglichen Reiz als Juwel verliert, so gibt es, glaube ich, ohne Schattenwirkung keine Schönheit.“ 

Seit ich Ende vergangenen Jahres einen Polyeder Stein aus Messing geschenkt bekommen habe, bin ich melancholischer als vorher, „schattiger“. Dieser Stein kommt schon in Melencolia I, einem Stich von Albrecht Dürer aus dem Jahre 1514 vor. Es ist eine Allegorie der Melancholie mit vielen Symbolen, u.a. dem Polyeder, welcher auf die Verbindung von Wissenschaft und Kunst in der Renaissance verweist. Laut Erwin Panofsky eine Melencolia Artificialis, eine Künstlermelancholie, die vom Planeten Saturn beeinflusst zur Schwermut neigt. Da es früher hiess, das die Melancholie als einzige der vier Temperamente zur Kreativität befähigt, akzeptiere ich diese aber gerne in mir. Doch der Mond wird wieder zu- und die Tristesse hoffentlich abnehmen, und ich nicht erst als Greisin wieder das Haus verlassen.

Sogar mein Schatten
Ist durch und durch gesund 
An diesem Frühlingstag“. Haiku von Issa

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