Seite wählen

45.38° nördliche Breite, 12.33° östliche Länge

Sonnenuntergang am Lido

„Ich will also bleiben, dachte Aschenbach. Wo wäre es besser? Und die Hände im Schoß gefaltet, ließ er seine Augen sich in den Weiten des Meeres verlieren, seinen Blick entgleiten, verschwimmen, sich brechen im eintönigen Dunst der Raumeswüste“. (Thomas Mann, Der Tod in Venedig)

„Grand Hotel Excelsior“

Die Insel Lido di Venezia (von lat. litus = Strand, Küste) ist ein langer, schmaler Landstreifen und bildet den mittleren Teil einer Nehrung die die Lagune von Venedig von der offenen Adria trennt. Bis ins 19. Jh. hinein war die Insel ein von nur wenigen Lidenzern besiedeltes Dorf um die Kirche Santa Maria Elisabetta. 1855 entstand hier das erste öffentliche Seebad Europas, es wurde als Der Lido bekannt und zu einem mondänen Ort mit luxuriösen Hotels. Das „Grand Hotel Excelsior“ im obigen Photo ist eines davon. Schauplatz von Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ und dem gleichnamigen Film von Luchino Visconti war das einige Strandabschnitte weiter nördlich gelegene, seit Jahren geschlossene und langsam verfallende „Grand Hotel des Bains„, wo ich gestern in der gleichnamigen Badeanstalt den End of Season Tag bei 30° im Schatten zelebrierte.

„Grand Hotel des Bains“

Das „Grand Hotel Excelsior“ in Lido, größter gleichnamiger Ort der Insel mit unzähligen architektonischen Art Nouveau und Deco Perlen, die eines eigenen Blogs bedürften, ist dafür alljährlich Schauplatz der Filmfestspiele und Treffpunkt von Stars und Sternchen.

Am Wochenende ging die „Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia“, die dieses Jahr trotz Pandemie zum 77. Mal stattfand, zu Ende. Mehr oder weniger zufällig bin ich auf das Gelände geraten, nachdem es beim Temperaturmessen am Einlass bei mir, von einem heissen Lido Strandtag noch etwas erhitzt, geblinkt hatte, wurde ich kurz rausgewunken, aber dann doch wohltemperiert auf den Biennale Hotspot gelassen.

Biennale 2020

Leerer als sonst, mit einem großen Aufgebot an Polizisten und Sicherheitsleuten, gab es viele Filmschaffende und Beauties aus erstaunlicherweise aller Welt zu sehen. Leider war das Photographieren verboten und ich konnte nur en passant ein paar Impressionen aufnehmen.

Campari Pavillon auf Biennale

Mein Blitzbesuch auf dem Festival passte zur „Hollywood Therapie“ (von Rüdiger Dahlke) die ich gerade lese und bei welcher sich existentielle Fragen stellen: Welche Rolle(n) spiele ich in meinem Leben, wie ist das Drehbuch, wie kann ich selbst Regie übernehmen, welche Rollen stehen auf welchen Lebensbühnen noch für mich an ?

Doch zurück zum Lido, der zusammen mit den südlich gelegenen Inseln Pellestrina und Sottomarina sowie der nördlich gelegenen Landzunge Cavallino die äußere Begrenzung der Lagune von Venedig bildet.

Der mit 620 Einwohnern nach Lido zweitgrößte Ort ist Alberoni am Fuße eines großen Waldes und Naturschutzgebietes im Süden der Insel. Hier befindet sich auch ein Lagoon Green, der einzige Golfclub Venedigs: Circolo Golf Venezia.

Circolo Golf Venezia September 2020

1928 wurde der klassisch schottische Links von Henry Ford angeregt und auf den Sanddünen Alberonis gegründet. Mit einer der ersten Golfplätze in Venetien bietet er bis heute anspruchsvolle Fairways gesäumt von jahrhundertealten Bäumen und weiten Greens mit interessanten Neigungen.

Den Golfplatz einzigartig macht das Fort San Nicolò – Teil einer ehemaligen Festungsanlage aus dem 16. Jh., das sich mitten im Course befindet. Doch die einzigen Feinde gegen die ich mich dort heutzutage (speziell im September) verteidigen muss sind Moskitos. Da ich dies nicht wußte, hatte ich am Ende der Runde sogar noch mehr Stiche als Einträge auf meiner Scorekarte…

Fort San Nicolò

Doch nicht nur Sandbunker auch jede Menge weiße, feinsandige Strände mit sanft abfallenden Meeresboden gibt es auf Lido, denn über die Hälfte der adriatischen Seite der Insel besteht aus Sandstrand. Der restliche Küstenstreifen ist mit großen Murazzi befestigt, ein aus istrischem Marmor zwischen 1744 und 1782 erbautes Verteidigungsbauwerk der Republik Venedig, das zugleich dem Schutz der Lagune vor Erosion diente. Sozusagen ein adriatischer Deich.

Dünen am Strand von Alberoni

Mit der Industrialisierung wurden die Durchfahrten von der Adria in die Lagune zu schmal, so dass 1925 Verbreiterungsarbeiten begannen, durch die erheblich größere Mengen an Salzwasser mit höherer Geschwindigkeit in die Lagune gelangten. Dies führte und führt zur Gefährdung ihrer Bausubstanz. Die sehr breite Durchfahrt erhielt im Rahmen des Hochwasserschutzprojekts M.O.S.E., modulo sperimentale elettromeccanico, riesige Schleusentore, von denen auch 21 Tore nach Lido reichen. Jedes Tor ist 20 m breit, mit Höhen bis zu 30 m bei Malamocco.

Malamocco, Photo Valter Bolzonella

Dort befindet sich auch die Wiege Venedigs. Malamocco ist nicht nur der älteste Stadtteil des Lido, sondern auch Venedigs erste und für lange Zeit einzige Siedlung. In Malamocco residierte der Doge von Venedig, ehe dieser im 9. Jh. in das heutige Venedig übersiedelte, welches bis dahin kaum besiedelt war. 1883 wurde der Lido mit den Orten Lido, Malamocco und Alberoni nach Venedig eingemeindet. Falls ihr mal das im 21. Jh. zumindest von Touristen dichtbesiedelte Venedig verlasst und Malamocco besucht ist eine Einkehr in der Trattoria Al Ponte di Borgo, wo es alles was die Lagune bietet auf einfache und traditionelle Weise zubereitet zu Essen gibt, eine Empfehlung wert.

Pellestrina

So ähnlich wie hier vor Pellestrina muss auch Venedig bei seiner Gründung vor 1600 Jahren ausgesehen haben – Fischerhütten „peocere“ auf Stelzen, in die sich die vor Feinden (Ostgoten, später Hunnen und Langobarden) auf dem Festland fliehenden Bewohner in der Lagune in Sicherheit brachten.

Ein Film in dem ich dem Alltag entfliehen kann und Themen meines „Lebensfilmes“ wie Ästhetik, Schönheit, Kunst, die Polarität des Apollinischen und Dionysischen, näherkomme, ist Viscontis 1971 auf dem Lido gedrehter „Tod in Venedig“, in seiner morbid-melancholischen Atmosphäre von Dekadenz und Verfall untermalt mit spätromantischen Klängen von Gustav Mahler…

Der Blog ist etwas lang geraten, aber der Lido mit seinen 11 Kilometern ist eben auch eine ziemlich lange Insel…

Hat dir dieser Beitrag gefallen?

Dann teile ihn in den sozialen Netzwerken!