79º43′ nördliche Breite, 11º 01′ östliche Länge
Während der Nacht hat unser Schiff auf den Smeerenburgfjorden zwischen der Danskøya und der Amsterdamøya zu gehalten. Auf der Amsterdaminsel im Nordwesten von Svalbard geht es gleich am Morgen nach Smeerenburg.
Schroffe Berge aus Granit und Gneis schieben sich spitz und steil in den Himmel – erst hier wird verständlich warum einst die Inselgruppe Spitzbergen genannt wurde. Heute wird offiziell nur noch die Hauptinsel von Svalbard Spitzbergen genannt.
Anfang des 17. Jh. gab es am Smeerenburgfjorden nicht nur, wie im 21. Jh. glücklicherweise auch wieder, große Walrosskolonien (hinter den angeschwemmten Lärchenstämmen relaxed am Strand dösend) sondern auch eine recht große niederländische Walfängersiedlung. In ganz Europa verbreitete sich damals die Kunde über die reichen Walfanggründe der Arktis. Während dieser intensiven Phase des Walfangs um Spitzbergen war Smeerenburg, günstig im Nordwesten am milden Golfstrom gelegen, eher vom Eis befreit und leichter zu besiedeln als der Osten, das Zentrum der Aktivitäten.
Auf dem Höhepunkt in den 1630er Jahren gab es hier acht Trankessel, in denen Walblubber zu Tran verkocht wurde, und 18 Gebäude. In den Sommermonaten lebten und arbeiteten bis zu 200 Menschen, in den Wintermonaten war der Ort verlassen. In den 1640er Jahren begann der wirtschaftliche Abstieg Smeerenburgs, weil die Zahl der Wale, die direkt vor der Küste anzutreffen waren, durch die menschliche Gier dramatisch schnell abnahm. Um 1660 wurde die Station aufgegeben. Die Walfänger mussten wieder hinaus ins offene Meer.
Es ranken sich viele Mythen um die ”Speckstadt” Smeerenburg, noch Fridtjof Nansen hat in seinem Spitzbergen-Buch 1912 geschildert, dass es einst eine Ortschaft mit mehreren tausend Bewohnern, einer Kirche mit Glocken und sogar einem Bordell gab: „Hier stand damals, vor mehr als 250 Jahren, eine ganze Stadt mit Läden und Straßen. Wohl 10.000 (das wären 7.500 mehr als heute in ganz Svalbard…) Menschen im Sommer mit dem Lärm von Packhäusern, Trankochereien, Spielerkneipen, von Schmieden und Werkstätten und Schänken und Tanzböden. An diesem flachen Strand wimmelte es von Booten mit Seeleuten, die eben von dem aufregenden Walfang kamen, und von Frauenzimmern in bunten Farben, die auf Männerfang ausgingen.“ Nach neueren archäologischen Forschungen entspricht diese Größe nicht der historischen Wahrheit.
Am breiten Strand sind noch Reste der alten Tranöfen und einige Grundmauern zu besichtigen. Relikte einer vergangenen, blutigen, vorindustriellen Epoche die im 17. Jh. begann.
Ran an den Speck. In den Siedereien blubberte die fette Beute langsam zum Tran zerfließend, das Öl eines ausgekochten Wal füllte 30 Fässer, Spitzbergen boomt. Neben den Walfängern siedeln sich Trankocher, Küfer, Schmiede, Zimmermänner an.
Der zu Öl verkochte Tran aus der dicken Speckschicht der Meerkolosse wurde in Europa vor allem als Lampenöl genutzt und zu guten Preisen verkauft. Damit die Lichter in Europas aufblühenden Städten leuchten konnten, wurden hier Hunderttausende Wale abgeschlachtet. Wo viel Licht ist ist viel Schatten…Walöl war das „schwimmende“ Erdöl des ausgehenden Mittelalters und schmierte die Zahnräder der industriellen Revolution.
Die Barten, die vom Oberkiefer eines Wals anstelle von Zähnen herabhängenden Hornplatten, waren heiß begehrt zur Herstellung von Regenschirmen und Korsetts.
Doch wie erwähnt findet nach einigen Jahrzehnten das Hauen und Stechen in den Gewässern der Bucht ein Ende. Sinkende Bestände zwingen die Schiffe ins Packeis. Jetzt wird auf See geflenst, die tonnenschwere Speckschicht von einem erlegten Wal in Streifen abgezogen…und der brodelnde Tran in Kupferkesseln gekocht. „Backbord der Fisch, Haken im Leib, Mast und Muskelkraft schälen den Wal wie eine Orange“ aus Moby Dick, Herman Melville.
„Die Feuer brennen Tag und Nacht, drumherum tanzen verrußte Teufel mit dreizinkigen Speckgabeln. Ein Walfänger jener Tage gleicht einer mobilen Hölle, und manchmal explodiert eine.“ Fast würde ich sagen: fair enough.
Es kam aber auch zu Zusammenstößen mit anderen Walfängern, so dass eine Begleitung durch Kriegsschiffe zeitweise üblich war. 1693 gab es sogar eine Seeschlacht, bei der drei französische Kriegsschiffe etwa 40 holländische Walfangschiffe im Nordosten von Spitzbergen gefangennahmen.
Am Strand liegen ausser den obligatorischen Baumstämmen aus Sibirien auch Überreste großer Walfischknochen. Ein Wal kann bekanntlich über 30 Meter werden.
Der Zahn der Zeit nagt nicht nur an den Skeletten sondern auch an den Tranöfen und einstigen Gebäuden – die meisten sind im Laufe der letzten 350 Jahre der Brandung zum Opfer gefallen…
„Wenn der liebe Gott ein Fisch werden wollte, so würde er sich dafür nur einen Wal aussuchen“.
aus Moby Dick, Herman Melville
Ich bin froh diesen Ort blutroten Gemetzels nach einigen Stunden wieder verlassen zu können und sauge das „unschuldige“ Weiß des Smeerenburgbreen geradezu in mich auf.
Den Hintergund der Bucht bilden einige Gletscher, darunter der eindrucksvolle Smeerenburgbreen. Doch auch hier ist nicht zu übersehen, dass die Gletscher an Masse drastisch abgenommen haben. Eine Karte aus den 1980ern zeigt, dass es einmal eine durchgehende Abbruchfront gegeben hat. Heute liegen überall Moranenflächen frei, Schmelzwasserbäche fließen ins Meer.
Cruise im Zodiac durch dieses einzigartige Panorama, kann mich gar nicht sattsehen an den kristallinen Wunderwerken der Natur.
Ein once in a lifetime moment.
Ein Haken auf der bucket list und die etwas ratlose Frage was kann ich tun, um diese eisige Schönheiten zu bewahren?
Da kommt also der Ausspruch „fette Beute“ her.