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48°51′ nördliche Breite, 2°33′ östliche Länge

Espaces d’Abraxas ist nicht in Versailles, sondern im Pariser Vorort Noisy-le-Grand, es ist kein Schloß, sondern ein Vorstadtghetto. Als es 1978-1983 von Ricardo Bofill geplant wurde, wollte er keine anonymen Wohnblöcke, sondern ein „Versailles für das Volk“, in dem sich verschiedene Schichten begegnen können, schaffen.

Um dem sozialen und gestalterischen Elend der Banlieue entgegenzuwirken griff Bofill tief in die Symbolik Toolbox der Postmoderne. Die billig gebauten Wohnblöcken sollten monumentalen Ausdruck verliehen bekommen und die Bewohner erheben. 2022 ist Espaces d’Abraxas ein sozialer Brennpunkt mit Jugendbanden. Machte in den labyrinthischen Gängen des „Palacio“ Bekanntschaft mit einem ihrer Babos, der aggressiv auf mich zuschritt und mir verbieten wollte Handy Photos zu machen. Sofort kamen wie in einer Choreo seine Jungs und umzingelten mich. Ich lief mit schnellen Schritten davon – dank vieler Menschen und einem kuriosen Fest bin ich nur mit dem Schrecken und glücklicherweise auch meinem iPhone davongekommen…

Recht überraschend landeten wir an einem grauen Herbst Sonntag mitten in einem lautstarken Halloweenfest à la Dios de los Muertos, einem der wichtigsten mexikanischen Feiertage an dem der Verstorbenen gedacht wird. Das Setting verstärkte den sowieso schon vorhandenen fast surrealen Eindruck des Wohnen und Lebens in einer Filmkulisse. Links unten im Bild steht übrigens ma fille, die in Paris ein Architekturpraktikum absolviert und ganz angetan war von unserer spontanen Exkursion in die Pariser PoMo (Postmoderne – für Nicht-Architekten).

Nach altmexikanischem Glauben kommen die Toten einmal im Jahr zum Ende der Erntezeit zu Besuch und feiern gemeinsam mit den Lebenden ein fröhliches Wiedersehen mit Musik, Tanz und gutem Essen.

Ganz traditionell wird aus rot geschmückten Treppenstufen ein schauriger Tzompantli (Schädelgestell) Altar mit ordentlich aufgereihten Totenköpfen als Gefäß für die Geister, Blumen, Speisen und persönlichen Erinnerungsgegenständen. Hhhuhuuhh…Die Toten sollen sich hier nach ihrer langen Reise aus dem Jenseits stärken und einige der Gaben wieder mitnehmen. Fotos der Verstorbenen und Kerzen erinnern an gemeinsame Zeiten. Wie hieß es so treffend bei Ai Weiwei in meinem gestrigen Blog „attempts to speak of death in order to celebrate life.“

Die Architektur des postmodernen Wohnsilo Ensembles ist auf einen Innenhof ausgerichtet, in dem das ganze Halloween/Dios de los Muertos/Allerseelen Spektakel stattfindet. Es gibt drei Gebäude: le Théâtre, l’Arc (der Torbogen) und den le Palacio, wobei l’Arc im Zentrum liegt, im Westen von le Théâtre und im Osten von le Palacio komplett umschlossen.

Riesige Pappmache Skelette tanzen mit farbenprächtigen Kostümen geschmückt ausgelassen im Innenhof.

Die „Räume des Abraxas“ mit ihren 600 überwiegend Sozialbauwohnungen sind ein theatralischer Ort, nicht nur an einem Festtag im November, sondern auch im Alltag. Bofills Fest der Postmoderne.

Die drei monumentalen Betonblöcke in Form eines Palastes, eines Triumphbogens und eines halbrunden „Theaters“ waren schon Kulisse unzähliger Musikvideos – von 80er-Jahre-Pop bis zum Gangsta-Rap.

Insbesondere der in Mitte der Anlage von antikisierenden Säulen an den umliegenden Fassaden umgebene Amphitheaterplatz. Antike meets Banlieue – wie im Film Athena – doch davon morgen mehr.

Auch der Science-Fiction-Klassiker Brazil und 2014 der letzte Teil der Tribute von Panem wurden hier gedreht. Wohnen in einer Filmkulisse.

Verlasse den spektakulären Wohnkomplex mit seinen kleinen Renaissance Tempeln aus Betonfertigteilen und schaue mir zur Übersicht nochmals den Plan rechts oben im Photo an – und später Spectre von James Bond:

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