Mitten in der Nacht bin ich von anhaltenden lauten Kirchenglocken aufgewacht. Es war ein sakrales Geläut, im Unterschied zum bürgerlichen, welches sonst die Stunde, in der Dorfkirche vor meiner Tür zu meinem Leidwesen sogar die Viertelstunde, schlägt. Dieses Relikt, welches sich aus dem Mittelalter, als die meisten Menschen noch keine Uhren besaßen, in die Gegenwart gerettet hat und liturgisch für Vergänglichkeit und Ewigkeit steht, gehört heute, wo jeder mehr Uhren als Zeit hat, abgeschafft. Gestern Nacht jedenfalls hörte ich ein Vollgeläut: Glocken 1+2+3+4. Das gibt es nur an den Hochfesten, wozu auch der Weiße Sonntag (lat. Dominica in albis‚ Sonntag in weißen [Gewändern]‘), gehört. Es ist der Sonntag nach Ostern, mit dem die Weiße Woche der Osteroktav, jene acht Tage vom Ostersonntag an, endet. In der katholischen Kirche ist der Weiße Sonntag traditionell der Tag für die feierliche Erstkommunion. Diese Tradition kam erst ab dem 17. Jh. auf, nachdem bis dahin die Kommunion zusammen mit der Taufe empfangen wurde. Auch wenn sich Weißer Sonntag nicht von der Farbe der heutigen Kommunionkleider ableitet – mit weißen Gewändern hat er durchaus etwas zu tun. Denn in frühchristlicher Zeit wurden die Katechumenen genannten Taufbewerber in der Osternacht getauft und zogen dazu ein weißes Gewand an. Dies sollte die Reinigung, des in Christus Neugeborenen, durch das Taufwasser versinnbildlichen. Ab dem siebten Jahrhundert entwickelte sich der Brauch, die weißen Taufkleider danach noch acht Tage lang zu tragen.
Um den Weißen Sonntag ranken sich viele Volksbräuche. An diesem Tag wurden beispielsweise die restlichen Eier des Osterfestes gegessen. Diese mussten allerdings passend zum Namen des Feiertags weiß und ungefärbt sein. Auch ich ging einst zum ersten Mal zur Kommunion. Vorher musste ich mit den anderen Kommunionskindern zur kollektiven Beichte in die Krypta. Ich saß schweigend dabei und mir fiel nicht ein, was ich hätte beichten sollen. So habe ich mich als noch „unschuldige Braut Christi“ mit weißem Blumenkranz, Minikleid, Kniestrümpfen, die ich damals ziemlich cool fand, und einer XL Kerze in der Hand voller Stolz in die Prozession gereiht. Dieser Maitag in den 1970ern wurde für mich zu einem „Schwarzen Sonntag“, da in der Nacht meine geliebte Großmutter starb.
Doch für viele Menschen war früher das Ende dieses Tages ein Grund zum Feiern: nach Fastenzeit und Osterfeiertagen durfte am Weißen Sonntag endlich wieder das Tanzbein geschwungen werden…Das beachtet heute wohl kaum noch jemand, umso beliebter sind White Night Partys im Sommer, die ausser den weiß gekleideten Feiernden aber keinen Zusammenhang bilden. Oder drückt sich darin vielleicht doch eine Sehnsucht nach reiner, purer Lebensfreude aus ?
Weiß und rein verbinde ich auch mit der Antarktis, dem einzigen noch C-Virus freien Kontinent. Dort sind White Nights kein „Tanz auf dem Eisberg“ Partymotto, sondern Nächte, in denen die Sonne nur für kurze Zeit untergeht, so dass es auch nachts noch hell ist. Weiße Nächte kommen an allen Orten vor, die etwa zwischen 57° nördlicher oder südlicher Breite und dem Nordpol bzw. Südpol liegen.
Dieser sechste Kontinent im Süden der Erde, in Magellans Zeiten noch als die Verkehrte Welt bezeichnet, ist mit 14 Millionen Quadratkilometern doppelt so groß wie Australien, und fast vollständig vom antarktischen Eisschild bedeckt. Ich habe Seh-sucht nach der gewaltigen Einsamkeit und Stille dieses eisblauen Landschaftsgemäldes, welches seine erhabene Schönheit durch die ansteigende Erderwärmung zu verlieren droht. Die Gletscher schmelzen und in den viel zu warmen Sommern rauscht das Schmelzwasser donnernd ins Meer. Dann ziehe ich mich am besten mal warm an und mache mich bald auf zum Südpol…
Dort gibt es zwar Pinguine und bekanntlich keine Eisbären wie am Nordpol, aber dennoch geht mir eine Nouvelle Vague Melodie nicht aus dem Kopf:
Eisbär
Eisbär
Kaltes Eis
Kaltes Eis
Eisbär
Eisbär
Ooh Eisbär
Ich möchte ein Eisbär sein
Im kalten Polar
Dann müsste ich nicht mehr schrein
Alles wär so klar
Ich möchte ein Eisbär sein
Im kalten Polar
Dann müsste ich nicht mehr schrein
Alles wär so klar
Ich möchte ein Eisbär sein
Im kalten Polar
Dann müsste ich nicht mehr schrein
Alles wär so klar
Eisbärn müssen nie weinen
Eisbärn müssen nie weinen...von Grauzone, 1980
Oder angesichts der Arctic Future gerade erst recht – Jetzt ! Ganz laut – ?!