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49°12`nördliche Breite, 2°69´östliche Länge

Um es gleich vorweg zu nehmen der Parc Rousseau ist nicht mein Lieblingspark und wird es auch nie werden, aber der 62 Hektar große Park von Ermenonville hat große kulturgeschichtliche Bedeutung – er war einer der ersten des englischen Gartenstils, den die vielreisenden Adligen auf Ihrer Grand Tour durch England kennenlernten und als dernier cri mit auf den Kontinent brachten. Aufgrund des am Übergang zwischen 17./18. Jahrhundert starken soziokulturellen Wandels repräsentiert dieser Park nicht nur die „grüne“ Revolution des Gartenbaus, sondern auch das Age of Enlightenment, die vorrevolutionäre Befreiung der Menschen, welche die „ursprüngliche“ Natur den durchkomponierten, geometrischen Parklandschaften des absolutistischen Ancien Régime vorzog.

Arkadische Felder siebzig Kilometer nordöstlich von Versailles statt Symmetrieachsen von Le Notre (seine Parks bleiben meine Favoriten und bekommen in späteren Posts noch ihren gebührenden Raum).

Es sind unermeßliche Summen hier an eine Anlage in der alten Symmetrie verschwendet worden, befand 1773 Philosoph und Gartentheoretiker Hirschfeld über barocke Parks; …desto mehr wird man durch die ewige Symmetrie ermüdet, die hier durchgängig herrscht, bis auf einen kleinen Bezirk, den man den englischen Garten nennt. Man sieht nichts als große, gerade Alleen, Hecken und Bogengänge mit Linial und Schnur gezogen, Arcaden, Altane und Nischen von Baumwerk gebildet, eine unnütze Menge von eisernem und hölzernem Gitterwerk; und dazwischen Parterre, Wasserkünste, stehende und liegende Figuren, meistens von Marmor in natürlicher, einige von Gyps in colossalischer Größe…

Doch auch in der fliessenden Hügellandschaft von Ermenonville gibt es noch eingestreute Staffagebauten wie Grotten, den temple ruiné oder das maison du philosoph.

Der Gartenarchitekt Girardin steigerte mit diesen Elementen die Natur in ihrer romantischen Inszenierung, was eigentlich im Widerspruch zur Rousseauschen Idee stand, denn dieser war sich durchaus der Künstlichkeit der Gestaltung des „Natürlichen“ bewusst. Für die Umgestaltungsarbeiten ließ Girardin zweihundert Engländer und einen schottischen Gärtner kommen.

In der neuen Epoche der Empfindsamkeit wollten die Menschen emotional statt kognitiv angesprochen werden, so wie in den arkadischen Landschaftsbildern von Lorrain, die sich nun aus dem zweidimensionalen Rahmen lösten und zu begehbaren immersiven Bilder nach Art des englischen Gartens wurden. Analoge 4DVirtual Reality.

In der Einsiedelei vor der Grotte hauste ein Eremit. Er trug einen langen Bart und durfte sich seine Fingernägel nicht schneiden. Diese professionellen Einsiedler waren im 18 Jh. bei Hof durchaus verbreitet, wohnten in eigens für sie eingerichteten Eremitagen und ließen sich zu bestimmten Tageszeiten sehen, um die Eigentümer der Parks und deren Gäste mit ihrem Anblick zu unterhalten.

Heutzutage gibt es keine solche Attraktionen mehr nur noch zwei Waldbereiche, Wiesen mit lockerem Baumbestand und Büschen, Teiche sowie einen seeähnlich aufgestauten Fluss.

Bereits nach der Revolution von 1789 verfielen die Anlagen und verwilderten, vielleicht zum Gefallen von Rousseau, der hier 1778 die letzten Wochen seines Lebens verbrachte und auf der île des peupliers seine letzte Ruhestatt fand.

Der Park wurde bereits zur Zeit seiner Entstehung in einem Führer beschrieben, der die verschiedenen Landschaftsbilder in fünfundzwanzig dazugehörigen Kupferstichen abbildet, insbesondere eben auch die von Pappeln umstandene „Rousseau-Insel“ mit dem heute leeren Kenotaph des Philosophen.

Einer der ersten großen englischen Garten Deutschlands war Wörlitz, wo sogar die Rousseau Insel nachgeahmt ist.

Immer noch schwebt der Geist Rousseau´s über Ermenonville. Vielleicht ist er heute aktueller denn je, denn der Klimawandel verlangt resiliente naturnahe Gärten. Doch im Gegensatz zur Aufklärung, wo der Mensch wieder ins Zentrum der Welt rückte, geht es heute eher um ein Co-Living zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Bakterien, Pilzen, eine Endosymbiosis formveränderlicher Körper.

Wer den Garten besuchen und nicht ganz „natürlich“ im Freien übernachten möchte ist gut untergebracht im Schloss Ermenonville. Es liegt auf einer Insel im Fluss Launette und beherbergt ein charmantes, ebenso wie der Park, etwas in die Jahre gekommenes Hotel.

Parks, Paläste und Hotels…Europa endlos. Zunächst bliebe ich aber noch in der Ile de France.

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