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50°06′ nördliche Breite, 8° 41′ östliche Länge

640 numbers between 1 and 10 © The John Cage Trust

Die Notation von John Cages Museumcircle lautet: „Im Museum (einer bestimmten Stadt) eine Ausstellung von Objekten aus anderen Museen (derselben Stadt) zu machen, die an zufällig bestimmten Positionen gehängt oder platziert werden. Um das zu erreichen, stellt jedes Museum etwa ein Dutzend Gegenstände zur Verfügung. Aus diesen potenziellen Quellen werden durch Zufallsoperationen die tatsächlich zu verwendenden Exponate ausgewählt.“

Das Kunstprojekt hat Cage 1991 entwickelt und bereits zwei Mal stattfinden lassen. „Dabei wird der Zufall zum Prinzip der Kunst erklärt“, sagte er. In Frankfurt machen 42 Museen mit, sprich von roundabout 500 Objekten werden 42 per Zufallsgenerator ausgewählt und mittels eines Raumrasters, eines Grids, ebenfalls zufällig platziert.

Museumcircle bildet einen genialen Transfer von der „Neuen“ Musik gleichberechtigter Töne zur bildenden Kunst und zielt wie sie auf die vollkommene Enthierarchisierung, in diesem Fall von Kunstwerken und Objekten aus unterschiedlichsten Sammlungen, ab. Diese sind nichtchronologisch, ahistorisch und dekontextualisiert. Eine Komposition für Museen – mit gleichzeitigem Erklingen, Leerstellen, Pausen: Stille.

Auch die endgültige Auswahl der Objekte und ihre Platzierung im Raum, ihr Stand- beziehungsweise Hängeort, beruht auf einem Zufallsprinzip, referenzierend auf Marcel Duchamp. Von ihm stammt  Erratum Musical (1913) eine Komposition mit nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Noten oder 3 stoppages étalon, wo Duchamp einen ein Meter langen, horizontal gehaltenen Faden aus einem Meter Höhe fallen ließ, die vorgefundenen Fadenverläufe festklebte und auf hölzerne Messlatten übertrug um den Zufall zu messen. So entstanden neue Maßstäbe des Zufalls als Richtschnur für die Kunst des 20. Jahrhunderts. “Eine Möglichkeit Musik zu komponieren (Anm. d. Verf. – oder Ausstellungen zu kuratieren): untersuche Duchamp”. Cage

Die Kunst arbeitet mit dem geplanten Zufall, damit Kunst entsteht.

Der Frankfurter Ausstellungsraum im ehemaligen Hauptzollamt, ein Standort des Museums für Moderne Kunst, erinnert mit seinen Backsteinmauern und Topfpflanzen nicht ganz ungewollt an Cage´s Loft in New York.

Dort entwickelte John Cage, ausgehend von I Ging, dem altchinesischen Buch der Wandlungen, in den 1970er-Jahren einen sogenannten „Random Generator – ein computergeneriertes Zufallsprotokoll. Unabhängig von Epoche, Format, Material oder Gattung insistiert diese Methode auch auf den ästhetischen Eigensinn der einzelnen Objekte im Sinne des objet trouvé.

Im Museumcircle sind unterschiedlichste Objekte aus verschiedenen Sammlungen wie in einem Kreis miteinander verbunden. Wie einst in den fürstlichen Kuriositätenkabinetten der Wunderkammern, welche den universalen Zusammenhang aller Dinge darstellten, mit dem Ziel Geschichte, Kunst, Natur und Wissenschaft zu einer Einheit zu verschmelzen. Später entstanden daraus die Museen.

Der Museumcircle ist ein begehbares Lexikon. Man erfährt etwas über viele verschiedene Themen, die auf experimentelle Art und Weise in einen neuen Kontext gesetzt werden. Context is King !

Welchen der 42 Objekte habe ich besondere Aufmerksamkeit geschenkt ? Eindeutig den drei Telefonkabelschafen. Welche Dissonanzen oder auch überraschenden Koinzidenzen haben sich für mich eingestellt? Die Wahrscheinlichkeit das von 42 x ? – (wieviele Objekte besitzt die Sammlung des jeweiligen Museums?, einfachheitshalber schätze ich 1000, was bestimmt zu wenig ist, und komme auf 42.000 mögliche Ausstellungsobjekte) – sich graue 60er Jahre Telefone als Installation und gleichermaßen Gemälde gegenüber wiederfinden doch recht gering ist …

TribuT, 1989, Plastik, Metall, Tempera, Deckweiß, Filzstift auf Papier Maße variabel

Die drei Telefon-Schafe von Jean-Luc Cornec , Leihgabe aus dem Museum für Kommunikation, ehemals Postmuseum, sind mir noch aus Kindertagen vertraut.

Dem Schaf kommt in verschiedenen Religionen, Sprachen und Kulturen eine unterschiedliche Bedeutung zu. In „Blade Runner„, basierend auf Philipp K. Dicks „Do Androids Dream of Electric Sheep?“, thematisierten sie das Aussterben von Tierarten. Vielleicht ereilt sie irgendwann das gleiche Schicksal wie die Vintage Telefone? In TribuT  bestehen die Schafsköpfe aus grauen Telefonen, die Wolle aus Telefon-Kabeln und die Füße aus Hörern.

Zu der Gruppe der drei Schafe gehören auch die beiden Gemälde mit dem Titel Telefonherde. Hier wird die Masse zum Ornament.

So ein altes graues Schnurtelefon mit Wählscheibe gab es bei meinen Eltern früher auch. (069) 63 65 14 – meine Kindernummer: Heimat und Nabelschnur.

Ursprünglich wäre die Ausstellung heute zu Ende gegangen, nun ist sie noch bis zum 18. April 2022 verlängert. Vielleicht geht der eine oder andere noch hin – last month statt wie ich eigentlich dachte: last minute.

Ich bin zur fördernden „Freundin“ des MMK geworden. Spätestens zur Marcel Duchamp Ausstellung, Master of Coincidence, Vater im Geiste, nicht nur von John Cage, berichte ich wieder von diesem kunstsinnigen Ort.

Dank Duchamp wissen wir, dass alles Kunst werden kann und dass das Denken keine Grenzen hat.“

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