47°50′ nördliche Breite, 9°73′ östliche Länge
Die Bregenzer Festspiele besuchte ich schon einmal als kleines Mädchen, mein Vater plante hier das Krankenhaus und ich baute ein Hotel – aus Lego. Früh übt sich…Und eines Abends gingen wir zusammen mit meiner Mutter groß aus: zu den Festspielen auf der Seebühne.
Dort hatten sie auch ein Hotel gebaut: Das Seehotel – Schauplatz der Operette Die Hochzeit am Bodensee.
Das Spiel auf dem Wasser war eines der beeindruckendsten Kindheitserlebnisse und meine Faszination für das feuchte Element kommt bestimmt auch von diesem Abend. Damals wie heute bleibt es oft bis zum letzten Moment ungewiss, ob das Spiel stattfinden kann. Deswegen wird am Ende des Einführungsvortrages nicht eine spannende Vorführung oder dergleichen gewünscht sondern ein trockenes Spiel.
Heuer war ich – in Abendkleid und Gummistiefeln – wieder da. Die für den Spieltag prognostizierte 100% Regenwahrscheinlichkeit hat sich kurz vor Spielbeginn, als kleines Wunder des Tages, in einem den Himmel überziehenden Doppelregenbogen aufgelöst; die Funkstation des Pfänder (1064 Meter hoher Bregenzer Hausberg) in goldene Nebelwolken tauchend: Here comes the sun. Als ich meine, im Programmheft blätternde, bessere Hälfte auf den plötzlich gold aufreißenden Himmel aufmerksam machte, schaute er etwas unaufmerksam hinaus und meinte allen Ernstes: Die machen wohl gerade eine Scheinwerferprobe.
Das haben sie wohl irgendwann mal vorher gemacht, aber auf der anderen Seite des Festspielhauses auf der über dem See schwebenden Drehscheibenbühne.
Ich war wieder ganz kindlich begeistert vom Spiel auf dem See mit seinem gigantischen XL Bühnenbild. Und dieses war 2021 in jeder Hinsicht anspruchsvoller als 1968.
Der Hofnarr Rigoletto wurde zu einem riesigen begeh- und bespielbaren Clownkopf, dessen liabes Gesicht sich mal in einen lüsternen Frauenverführer, mal in eine schreiende Fratze verwandeln kann, umrahmt von seinen 11,5 Meter langen Händen, links die bewegliche, rechts die mit festem Griff den leuchtenden, mit Helium gefüllten, Fesselballon umfassende.
Mit spektakulären Szenen wie aus einem Film von Fellini begann die Inszenierung von Philipp Stölzl, die zirkushaftes Treiben und inniges Kammerspiel vereint. Der Transfer des höfischen Lifestyle im Mantua des 16. Jahrhunderts in die bunt-schrille Zirkuswelt funktionierte dabei erstaunlich gut.
Der Herzog von Mantua wird – Manege frei: zum Zirkusdirektor, der Hofstaat zu seinem Gefolge aus wagemutigen Akrobaten, der Hofnarr zum Clown.
Passend zur Melodie des bekannten Kanzone »La donna è mobile« trällernd, bittet einer der Akrobaten in schwindelnder Höhe auf dem Riesenkopf balancierend, das Publikum: Put down your mobile...« was mir in Anbetracht des monumentalen Bühnenbildes nicht so leicht fiel.
Kurz zur Story von Verdis düster-dramatischer Oper Rigoletto: Der namensgebende Hofnarr verliert seine einzige Tochter Gilda. Und das gleich doppelt: Zunächst, als sie von dem, vom Vater gehassten, triebhaft skrupellosen Grafen von Mantua verführt wird und ein zweites Mal, als sie für den manisch geliebten Grafen ihr Leben opfert. Eine „Vater-Tochter-Macho-Tragödie“.
„Die Treue, Tyrannin des Herzens, verabscheuen wir wie eine grausame Krankheit, nur wer will, soll treu bleiben; es gibt keine Liebe ohne Freiheit.“ Aus Questa o quella (Diese oder Jene), Arie aus Rigoletto
Als Metapher der tragischen Handlung wird das Haupt des Protagonisten immer mehr demontiert. Zunächst fallen ihm die Augen aus, dann die Nase und schlußendlich im furchterregenden Gewitter der letzten Szene, die Zähne. Er kann lachen und weinen, und wie – am Ende ergießen sich gewaltige Tränenwasserfälle aus den leeren Augenhöhlen seines geisterhaften Totenschädels. Im Fesselballon darf Gilda nach ihrem Tod gen Bregenzer Himmel fliegen. Manchmal. Bei meinem Besuch ist die Himmelfahrt leider ausgefallen. Der Wind über dem See wehte zu stark.
Inspiriert war das Ganze gigantomanische Puppentheater von Royal de Luxe, einer Straßentheatergruppe aus Frankreich mit Riesenmarionetten.
Vielbusige Akrobatinnen schweben wie die Rheintöchter in Wagners Rheingold an bewegten Maschinen durch den sternbeglänzten Nachthimmel: Le Donne è mobile…
Nach zwei mitreißenden Stunden endet das Spiel auf der, auf 119 in den Seeboden gerammten Pfählen ruhenden, weltweit größten Seebühne. Deus ex machina at it´s best !
Life is a circus…
Heute Abend enden die Bregenzer Festspiele 2021 mit Rigoletto.
Donna di mobile, an einem Finger hängend offensichtlich
Donna di mobile, an einem Finger hängend offensichtlich