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45°43′ nördliche Breite, 12°34′ östliche Länge 

Laufschuhe an und los geht’s – heute nehme ich euch mit zu einem Parcours durch den ersten post-pandemischen internationalen Kulturevent: die Biennale Architetturra in Venedig. Sie ist relevant. Nicht immer im Sinne der gestalterischen Aspekte der (Ausstellungs)Architektur, aber in ihrer Sensibilisierung auf die globalen Konsequenzen der Architektur im Zeitalter des Anthropozäns.

Die Installation Earth is an architecture, in primären Kindergartenfarben, steht für mich für den terrestrial turn einer Architektur, die ihren Fokus auf die Welt als ein architektonisches Projekt setzt und nicht länger auf Gebäude und Fassaden…

TVK: The earth is an architecture

Kurator Hashim Sarkis wirft mit dieser Biennale, ein Zukunftslabor für neue Formen der Gemeinschaft und Interaktion, vom Arsenale, der alten Schiffswerft Venedigs, einen Anker ins Morgen. Düstere Apokalypse und farbenfrohe Hoffnung gehen in der Lagune Hand in Hand.

Das Thema der Biennale ist ihr Titel: „How will we live together? Die Frage ist uralt und aktuell. Schon die Babylonier stellten sie sich beim Turmbau von Babel… Aristoteles beantwortete sie mit der Polis: der Stadt. Die Biennale vielleicht mit der Biopolis ?!

Die Ausstellung ist in Sektionen unterteilt, die sich an Maßstäben vom Körper bis zum Planeten orientieren. Unser Rundgang beginnt in den 1 km langen Arsenale Hallen, wo es zunächst künstlerisch-assoziativ um das Leben „together“ geht. Ich zeige euch meine Top Ten.

Jessica Charlesworth / Tim Parsons: Catalog of post Human

Atmosphärisch schimmern schwebende Installationen in den abgedunkelten Hallen. Ein ästhetischer Auftakt, der nach der Zukunft des menschlichen Körpers fragt und über Co-Habitation, das Zusammenleben von Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen, nachdenkt.

Peju Alatise / Alasiri: Doors for Concealment or Revelation

Haben wir uns nicht alle in Cyborgs verwandelt, fragt sich mein durch die Türen, zwischen den archaischen Technomensch Skulpturen, hindurchbewegender Mann. Was ist inside – was outside – was Körper, Technik, Raum ? Die nigerianische Künstlerin glaubt der Mensch ist wie eine Tür – sie (ihn) zu öffnen bedeutet Teil seines Geheimnisses zu werden.

Die Architektur arbeitet aktuell an vielen „Baustellen“: „Der Einfluss der Digitalisierung auf die Wirtschaft und die Zukunft der Arbeit hat zu einer neuen Aufteilung von Landnutzung im Maßstab der Regionen, Städte und Nachbarschaften geführt. Neue Industrien und alternative Agrarwirtschaften dringen in die Städte ein“, erklärt Hashim Sarkis. Ich frage mich: Was wäre wenn die Natur in die Stadt kommt und nicht die Stadt in die Natur ?

MAEID: Magic Queen (from the Artificial Ecologies series)

Roboter, die Gebäude und Landschaften bauen. Magic Queen ist eine hybride Umgebung aus dem 3D Drucker, die biologische Systeme mit organischen Materialien und Maschinen vereint und so ein Ökosystem aus Empathie und Koexistenz schafft. Ein Lebensraum, der sich selbst wiederherstellen kann und die Rolle lebender Systeme und der Architektur neu definiert. Pilzflora und Bodenstruktur hängen von der Pflege des Roboters ab; der Roboter ist auf ihre Existenz angewiesen, um sich zu bewegen.

Wenn Architekten nicht mehr nur bauliche Hüllen entwerfen, sondern Prozesse, kann die Natur zum Baumeister werden. Häuser werden nicht nur gebaut, sie wachsen. Neue Materialien für ein Post- Beton Zeitalter werden erforscht, von Gurkenfasern bis hin zu Pilzen. Auch Schutzkleidung für Astronauten oder das Leben auf der Erde sind zu sehen. Architektur, die auf der Haut beginnt, im Falle biologischer Wachstumsprozesse bereits darunter. Die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen. Bisher war die zweite Haut die Kleidung, die dritte das Haus…

David Benjamin, The Living: A New Spatial Contract for Multispecies Architecture

Die New Yorker Designfirma The Living hat einen zylinderförmigen Raum aus porösen Luffa (Waschgurken Schwamm) gebaut. Ein Prototyp für artenübergreifendes Bauen, das Menschen und Mikroben gleichermaßen ein Zuhause bietet. Die Materialien des Raums sind „buchstäblich lebendig, weil sich eine unsichtbare Schicht von Mikroben in ihren winzigen Hohlräumen befindet“. „So wie wir immer mehr darüber nachdenken, wie ein gesundes Darmmikrobiom, die Mikroben in unserem Magen, unsere individuelle Gesundheit fördern können, könnte ein gesundes urbanes Mikrobiom unsere kollektive Gesundheit fördern“, fügte Benjamin hinzu.

Ist das Waschgurkenhaus vielleicht eine Alternative zu dem typischen post-WWII Einfamilienhaus ? Es denkt jedenfalls Diversität – in seiner Architektur für diverse mikrobielle Communities – weiter als bisher üblich. Menschen sind die Mikroben der Stadt. Jeder von uns ist Zuhause von mehr als einer Billion Mikroben und aus dieser Perspektive eine Metropolis voller Leben…

Superflux: Refuge for Resurgence

Im Superflux Triptychon schauen wir in eine von der Natur zurückeroberte Post-Anthropocene Zukunft mit überfluteten Stadtruinen. Menschen, Tiere, Pflanzen und Pilze bekommen einen gleichberechtigten Sitzplatz beim Multi-species Bankett am langen Tisch aus wilder Eiche. Teller und Bestecke sind im mythopoetischen Refuge for Resurgence aus Naturalien und Artefakten zusammengebaut.

Die Menschen haben gelernt haben ihre Abhängigkeit von anderen Lebensformen zu feiern und glauben an das transformative Potenzial von Ritualen und Zeremonien. „Diese (Arbeit) ist eine Anrufung und ein Gebet für eine andere Art von Welt.“

Mad Max trifft auf Life in the woods.

Doxiadis+: Fungi Garden

Das dänische Architekturstudio Effekt hat 1.200 Kiefernsetzlinge rund um sieben Architekturmodelle gepflanzt, ferngesteuert wird das hydroponische System, das Wasser und Nährstoffe um ihre Wurzeln zirkuliert, aus Kopenhagen. Sechs Monate lang wachsen noch die Bäume… bevor sie im Rahmen eines städtischen Aufforstungsprojekts eingepflanzt werden und in den nächsten 50 Jahren über 1.000 Tonnen Kohlendioxid aufnehmen können.

EFFEKT: Ego to Eco, „Learning from Nature”, Urban Village

Von Ego to Eco.

Achim Menges / Jan Knippers: Maison Fiber

Die materielle Substanz der Architektur bildet die gebaute Umwelt in der wir zusammenleben. Doch Bauen gehört zu den menschlichen Tätigkeiten, die am meisten Rohstoffe verbrauchen und die Umwelt erheblich belasten. Eine Alternative könnte aus der Natur kommen: Fast alle biologischen, tragenden Strukturen bestehen aus Faserverbundwerkstoffen. Das Maison Fiber ist das erste bewohnbare, mehrstöckige Faserbauwerk. Jedes seiner Bauelemente wird in einem Roboter-Fertigungsprozess individuell zugeschnitten, was zu neuen Lebensräumen mit einem unverwechselbaren Ausdruck bei minimalem Materialeinsatz führt.

Stadthistoriker bezeugen das Teilen von Mauern als den Moment der Entstehung von Städten, der Raum hat ein Maß an Gleichzeitigkeit, das Vielfältigkeit ermöglichen kann. Wie gestalten Gesellschaften ihre Räume, welche Zugangs- und Verhaltensmuster werden durch sie geprägt, wie offen und elastisch sind sie ?

SOM : Life Beyond Earth

Wir bewohnen weiterhin wachsende Städte, die auf überholten Vorstellungen von einem guten Leben gebaut sind, und in denen der Kampf um den Klimawandel gewonnen werden muss. Falls nicht, gibt es die Space Architektur von SOM, die in Zusammenarbeit mit der ESA die erste nontemporäre menschliche Siedlung auf der Mondoberfläche entwerfen. Moon Village ist für den Rand des Shackleton-Kraters in der Nähe des Südpols des Mondes vorgesehen, der das ganze Mondjahr über durchgehend Tageslicht erhält. Das Dorf bevölkern aufblas- und erweiterbare Kapselmodule, die Arbeitsplätze, Wohnungen, Umweltkontroll- und Lebenserhaltungssysteme beherbergen. Es passt in die strategischen Pläne von ESA und NASA, „die menschliche Präsenz tiefer in den Weltraum und bis zum Mond auszudehnen, um eine nachhaltige langfristige Exploration und Nutzung zu ermöglichen“. Ist das unser Plan B für eine bedrohte Erde ?

“Architektur ist die Kunst, das Unvorhersehbare zu umreißen” und Sarkis weist darauf hin, dass dies eine Qualität der Projekte in der Ausstellung ist: die Zukunft vorwegzunehmen.

Annex: Entangelment

Entanglement entlarvt die romantische Metapher der Cloud als virtuellen, ätherischen Raum. Der Pavillon stellt thermodynamische Prozesse als Bindeglied zwischen den Architekturen des Lagerfeuers und des Rechenzentrums dar. In „Die vier Elemente der Architektur“ schreibt der Architekturtheoretiker Semper 1851, dass Feuer „das erste und wichtigste und moralischste Element der Architektur“ ist und „in allen Phasen der Gesellschaft hat der Herd diesen heiligen Brennpunkt gebildet, um den herum Ordnung und Form annahmen.“ Bis zum Jahr 2027 werden Rechenzentren voraussichtlich 31% des gesamten irischen Strombedarfs verbrauchen, von dem der überwiegende Teil aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Das Digitale ist materiell.

ELEMENTAL / Chileans and Mapuche: Building places to get to know each other 

Inspiriert und leicht erschöpft von den vielen Eindrücken sehe ich am Ausgang noch die Urhütte von Elemental. Eine markante Struktur aus hohen Holzstangen, die in einem Kreis angeordnet sind und an einen Koyauwe (einen Ort zum Gespräch und zur Lösung von Konflikten) erinnern sollen. Fehlt nur noch das Lagerfeuer.

Ich entspanne noch einen Augenblick im Arsenale Areal, welches über ein Zehntel der gesamten venezianischen Stadtfläche einnimmt und indem früher 16.000 Werftarbeiter, die so genannten Arsenelotti tätig waren. Der Bau des Arsenals begann um 1104. Es war der größte Industriekomplex Europas vor der Industriellen Revolution. Vor welcher Revolution stehen wir jetzt ? Vielleicht die der Industrie 5.0: Die nächste industrielle Revolution ist biologisch !

Olafur Eliasson, Sebastian Behmann (Studio Other Spaces)u.a.: Future Assembly

Ganz in diesem Sinne setzt Future Assembly sich für eine erweiterte Version der Vereinten Nationen ein, die nicht nur die Rechte von Staaten und ihren Bewohnern vertritt, sondern „more-than-human“ agiert und so, die Gesamtheit der lebenden und nicht lebenden Natur mit einbezieht. „We need a new Spatial contract…“ mit diesen Worten eröffnete Sarkis die 17. Architekturbiennale die noch bis zum 21. November 2021 geht. Andiamo a Venezia !

Gotta live together…

Wer noch kann liest weiter, wer nicht, tanzt zum Ausklang etwas zu den souligen Grooves – am besten: Together !

Together – besteht für den diesjährigen Kurator aus fünf essentiellen Punkten:
“zusammen wie Menschen, die trotz der wachsenden Individualität untereinander und mit anderen Arten im digitalen und wirklichen Raum Verbindungen suchen; zusammen wie neue Familien auf der Suche nach abwechslungsreicheren und menschenwürdigeren Wohnräumen; zusammen wie Gemeinschaften, die Gerechtigkeit, Einbeziehung und räumliche Identität fordern; zusammen durch die Überwindung politischer Grenzen, um neue assoziative Geografien ins imaginäre Bewusstsein zu bringen; zusammen als Planet, der Krisen bewältigen möchte, die eine globale Maßnahme verlangen, damit wir weiterleben können.”

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