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49°59 nördliche Breite, 7°59′ östliche Länge

Auf einer Anhöhe über dem Rhein gelegen, zieht das Johannisberger Schloß schon bei der Anfahrt meine Blicke auf sich. Einstmals war es ein Klosterweingut. Die Mönche lebten vom Weinanbau und machten das Kloster schon damals mit ihren edlen Weinen reich und berühmt. Es ist die älteste Riesling Domäne der Welt, seit 817 wird auf dem Johannisberg Wein angebaut, seit 1720 der weltbekannte „Schloss Johannisberger Riesling“. Die erste Aufzeichnung 1143 als „monte sancti Johannis“ geht auf die benediktinische Abtei, geweiht auf Johannes den Täufer, zurück, die hier einst stand. Ein Wohl auf meine „bessere“ Hälfte, deren Zweitname Johannes ist und mit der ich diese Woche hier war.

„Wenn man nicht trinken kann,
soll man nicht lieben.
Doch sollt ihr Trinker euch
nicht besser dünken:
Wenn man nicht lieben kann,
soll man nicht trinken.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Ich glaube ich kann beides ganz gut…

Johannisberg ist nicht nur Geburtsstätte des Rieslings, sondern auch der Spätlese. Ein klösterlicher Traubenkurier, der alljährlich vom Fürstabt die Erlaubnis zur Weinlese einholen mußte, verspätete sich (1775) und die Weintrauben am Rebstock „verfaulten“. Dank der Verspätung erkannten die Mönche jedoch, dass es sich um eine Edelfäule handelte, die den Wein noch gehaltvoller und schmackhafter machte.

Johannisberg liegt genau auf dem 50° nördlicher Breite.

Am Schloss Johannisberg verläuft der 50. Breitengrad

Dieser verläuft durch den vorgelagerten Taunusquarzitfelsen und ist mit zwei schmiedeeisernen Markierungen inmitten der Weinberge kenntlich gemacht. Er bildet die ideale geographische Lage für den Riesling, denn durch die großen Unterschiede zwischen Tag- und Nachttemperatur werden die aromatischen und geschmacklichen Komponenten der Riesling-Trauben ganz besonders ausgebildet.

Es gibt zwei Weltrebengürtel, zwischen dem 30°- 50° Breitengrad Nord und dem 30°- 40° Süd, in denen Wein angebaut wird.

Dass der 50. Breitengrad knapp unterhalb von Schloss Johannisberg verläuft, gehört, wie ich mir habe sagen lassen, im Rheingau zum Allgemeinwissen, denn er galt lange Zeit als nördlichste Grenze für den Weinbau – bis der Klimawandel kam. Dass aber auch der 8. Längengrad durch die Gemarkung verläuft, ist weniger bekannt. Dieser Konfluenzpunkt, Schnittpunkt ganzzahliger Grade, von lat. confluere ‚zusammenfließen‘, ist einer von nur 48 Punkten innerhalb Deutschlands. Insgesamt ergeben sich rechnerisch weltweit 64.442 Konfluenzpunkte, 21.543 dieser Punkte liegen auf dem Land, 38.409 auf Meeresflächen und 4.490 im Bereich der Polkappen.

Nicht zu den Polen, noch ferner – zu einer musikalischen Mondreise führte das wunderschöne Piano Recital des Ausnahme Jazzers Michael Wollny im Rahmen des Rheingau Musik Festivals auf Schloss Johannisberg.

Eine Ausnahme war auch sein Solo Spiel. 2020 schien bei ihm, wie bei den meisten von uns, die Zeit reif für den Blick nach innen, das Forschen in seinem Book of Sounds aus Geschichten, Gedanken, Stimmungen, Bildern und Begegnungen. Und in diese Zeit des weltweiten Lockdown fällt auch die Aufnahme zu seinem Soloalbum. „Es war eine surreale Situation.“ erinnert sich Wollny. „Zwei Tage verbrachte ich, zum ersten Mal seit langem alleine und ohne Mitmusiker, im großen Aufnahmeraum des … Studios. Auf dem Weg zu den Aufnahmen saß ich alleine im Auto, fuhr durch eine leere Stadt, am Abend lief ich zurück in mein menschenleeres Hotel, es gab nicht nur keine weiteren Gäste, sondern auch kein Personal. Ich war absolut allein mit mir und der Musik, und die Ideen, die sich aus dieser Situation ergaben…brachten mich dazu, über radikale Solisten nachzudenken, und so kam mir die Geschichte des Astronauten Michael Collins in den Sinn, der während der Apollo 11 Mission alleine den Mond umkreiste, und dabei immer wieder jeden Kontakt zur Erde verlor.“

Michael Collins in spacesuit, at Manned Spacecraft Center. (Photo by Time Life Pictures/NASA)

46 Minuten und 38 Sekunden – so lange dauerte Collins‘ Blackout im All – genauso lange wie Wollnys Album: „Mondenkind“.

Das ist natürlich eine Überhöhung, denn entgegen des damals, ob seiner Soloumkreisung des Mondes ganz zu Recht als „vermutlich einsamsten Mensch aller Zeiten“ betitelten Collins, hatte Wollny Blick- und Funkkontakt zu uns Konzertbesuchern, die sich mit einer standing ovation bedankten.

Bedankten für eine Reise durch (s)einen musikalischen Kosmos, ein großer Bogen voller Spannung mit urplötzlich aufbrausenden Ekstasen, donnernden Klanglandschaften und Entspannung – dunkeldüster, verträumte melancholische Melodielinien, in denen seine Finger fast ansatzlos über die Tasten schweben, Loops und Echos – sphärenhafte Klangcluster führen out of space.

Zum Ausklang des Konzertabends trinken wir noch einen farblich zum Mond passenden Johannisberger Silberlack – ein großes Gewächs, nach Zitrus, Ananas, Wiesenkräuter und einem Hauch Feuerstein duftend.

Um nochmals Goethe zu zitieren: Es ist eine sehr angenehme Empfindung, wenn sich eine neue Leidenschaft in uns zu regen anfängt, ehe die alte noch ganz verklungen ist. So sieht man bei untergehender Sonne gern auf der entgegengesetzten Seite den Mond aufgehn und erfreut sich an dem Doppelglanze der beiden Himmelslichter.

Ich schaue in den über dem Schloss schon ein wenig vom abnehmenden Mond beleuchteten Himmel: Can you hear me, Mr. Collins ?…

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