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45°42′ nördliche Breite, 12°34 östliche Länge

Die 20th Painting Action von Hermann Nitsch ist im Rahmen der 59. Kunstbiennale „wiederauferstanden“ und in zwei historischen Lagerhallen auf der Isola della Guidecca in der Lagunenstadt zu bewundern.

Das Licht in den imposanten, 15 Meter hohen Räumen ist gedämpft, die Stimmung nahezu mystisch. Ich bin umgeben von seinen weltberühmten Schüttbildern mit befleckten „Büßerhemden“. Von einem Mitschnitt dieser Malaktion tönen leise gregorianische Gesänge durch die lang gezogenen Hallen mit Ziegelwänden und offenem Dachstuhl, die selbst sakral wirken.

Die Performance fand 1987 in der Wiener Secession statt. Es sind die einzigen Werke einer Malaktion mit „entfesselten Wutausbrüchen und zarten Gesten“, die in einer Sammlung vereint sind und in ihrer Gesamtheit gezeigt werden können.

Seine teils Abscheu auslösende Verknüpfung von Tierkadavern und Blut mit religiösen Inhalten wie Kreuzigung und unbefleckter Empfängnis setzte Nitsch bewusst ein, um zur Reflexion über verdrängte Sujets wie Blut und Tod, die auch in der christlichen Religion eine zentrale Rolle spielen, anzuregen und das Kultische zurück in die zeitgenössische Kunst zu bringen.

Zwei Kunstvermittlerinnen hüten die „heiligen“ Hallen, führen interessierte Besucher und stellen täglich frische Blumen an den Altar des „Meisters“. Über ihm hängt ein T-Shirt Triptychon. Reliquien, die mit dem Künstler während seines Rituals in Berührung waren: In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.

Die auf langen Leinwänden an den Mauern lehnenden oder den Boden bedeckenden Werke (insgesamt 52) ergeben ein eindrucksvolles raumfüllendes Panorama, das in verdichteter Form die Essenz von Nitschs Malerei als integralen Bestandteil seines synästhetisch konzipierten „Orgien-Mysterien-Theaters“ veranschaulicht. Ein sakrales, kollektives Ritual zwischen Ekstase und Kontemplation, Reinheit und Verunreinigung, von dem ich einst luizid träumte im Kreise seiner „Jüngerinnen“ mitwirkend dabeigewesen zu sein…

Die Saliromanin in mir ist von Nitsch´s Über-fluss, der in vielen seinen Aktionen nicht nur Farbe, sondern auch Blut und Wein in Strömen fließen ließ, begeistert.

Rot – Leben und Tod symbolisierend, war seine Hauptfarbe.

Es ging mir immer um die Substanz, um die Materie der Farbe. Ich wollte in Farbe wühlen, die Farben kneten. Am Anfang stand das Rot und das Blut, auch das Schwarz. Und später habe ich alle Farben des Regenbogens eingesetzt.“ Wie Blau und Grün 2021 in seiner Malaktion zur Walküre in Bayreuth.

FESTSPIELSOMMER III – Der Grüne Hügel wird bunt

Ich bin dankbar das ich den Urvater des Wiener Aktionismus dort nochmals live erleben durfte. Für den Schlußapplaus standen die Sänger:innen, in ihren schwarzen, die Malassistent:innen in ihren weißen Gewändern, wie bei einem Oratorium am Bühnenrand, was das Sakrale auch dieser Inszenierung noch intensiver wirken ließ.

Am Ende erschien Nitsch auf einen Stock gestützt – alt und gebrechlich.

Über seine theatralischen raumgreifenden Farbinstallationen sagte er einst: I wished to enclose myself like in my mother´s womb. I wanted to paint all four walls“

Die Eröffnung, die zwar nicht mit einer Orgie, aber mit vielen Vertretern der internationalen Art-Crowd gefeiert wurde, fand am Tag von Hermann Nitsch´s Tod (1938-2022) statt, was aber erst am nächsten Tag bekannt wurde.

Der Kurator und Nitsch-Experte Roman Grabner äußerte sich bestürzt: „Hermann Nitsch hat mit seinem ‚Orgien-Mysterien-Theater‘ einen einzigartigen Kosmos geschaffen, eine große Kulturcollage, die Religionen und Mythen übereinanderlegt und alle Künste miteinander verschmilzt, ein wahres Gesamtkunstwerk, das die Zeiten überdauern wird“.

Das sah der Künstler selbst ähnlich: „Meine Philosophie möchte den Tod überwinden. Und es gibt große Augenblicke, da sehe ich mich im Mittelpunkt der Welt. Da habe ich das Gefühl, dass ich alles war und dass ich alles sein werde. Die Blumen sind in mir – und ich bin in den Blumen. In diesen Augenblicken taucht man in das ewige Leben ein – in den Vollzug dessen, dass alle Lust Ewigkeit will.

Das der Zeitpunkt der Ausstellung mit dem Tod des österreichischen Künstlers zusammenfiel scheint die Besucher, die die Hallen fast andachtsvoll betreten, zu berühren. Wie auch mich, als die Tage ausser mir dort nur ein sehr alter, wie Nitsch am Stock gehender, mit seiner Tochter österreichisch redender Mann war, (s)ein Wiedergänger? Beim Schreiben in das Gästebuch las ich im unmittelbar vor mir erfolgten Eintrag wer es war: Peter Kubelka (*1934) – einer seiner engsten Freunde, gemeinsam mit ihm über Jahrzehnte Professor an der Städelschule in Frankfurt.

Die erste posthume Ausstellung ist noch bis 20. Juli 2022 zu sehen. Danach will sein österreichischer Sammler und Kunst-Mäzen sie auf große Tour schicken… bis in den Nahen und Fernen Osten. Schliesslich soll die Welt auch etwas haben von diesem Schatz und wissen wer ihn besitzt.

The Concert„, Biennale, Schweizer Pavillon – Eine weitere Installation in der es um Rituale geht.

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